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Der Tote im Eiskeller

Der Tote im Eiskeller

Titel: Der Tote im Eiskeller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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sie hatte mit geschlossenen Augen zugehört. «Im Herbst, wenn die Ernte in der Marsch eingebracht war, kam Rutger in die Gärten. Bis er auf seinem ersten Schiff anheuerte. Danach kam er nur noch ab und zu. Wenn die Grönlandfahrer wieder einlaufen, ist in den Gärten nicht mehr viel zu tun, dann braucht Elias selten zusätzliche Tagelöhner.»
    Bevor Rosina sich wundern konnte, wieso eine Arbeiterin von ihrem Herrn mit dessen Vornamen sprach, fuhr Maline schon fort zu erzählen.
    Maline hatte den Traum vom besseren Leben nie vergessen. Es gelang ihr nicht, für sich und ihre Mutter einen Platz in einer besseren Gesellschaft zu bekommen, aber sie gab sich selbst nicht auf. Sie verfiel nie in die rohen Gewohnheiten und die Sprache ihrer Umgebung. Sie hielt sich und ihre Kleider sauber und in bürgerlicher Ordnung, sie ließ sich von den Männern in den Städten und Dörfern niemals mit diesen verlockenden kleinen Gaben bestechen, nach denen sie sich so sehnte. All das kostete Kraft, und es machte sie einsam, aber so lange sie ihren Traum hatte, war ihr das – beinahe – einerlei.
    Als ihre Mutter starb, als sie still und ohne Warnung einfach erlosch, glaubte Maline ihre Kraft am Ende. Bald darauf löste ihre Theatergesellschaft sich auf, und da, endlich, hatte sie Glück. Dieses Quäntchen Glück, ohne das kein Leben hell wird, und das, wenn es einem begegnet, kein Quäntchen zu sein scheint, sondern das größte Los in der Lotterie.
    «Den Rest der Geschichte kennst du schon, Rosina», schloss sie, «Meister Glarus suchte eine Magd und nahm mich bei sich auf. Dass ihn nicht kümmerte, woher ich kam», sie zuckte die Achseln und nahm Hannes Hand, «ich konnte mir nicht erlauben, viel darüber nachzudenken.Nur in einem habe ich gelogen, Rosina. Ich hätte dort bleiben können, wohl nicht mehr lange, das hätte seine Tochter niemals erlaubt, sicher nur noch ein oder zwei Jahre. Aber ich musste hierher. Hannes letzte Briefe – ich hätte es nicht ertragen, nach allem was geschehen ist, in Göttingen zu bleiben. Als ich euch traf und hörte, dass ihr nach Hamburg reist und dort mehrere Wochen bleiben wollt, habe ich mich schnell entschlossen. Aber dass der Meister mir die Laterna magica geschenkt hat, das ist wahr.»
    Offenbar hatte Rutger Ermkendorf die Tür einzig bewacht, damit Rosina nicht fortlaufen konnte. Als sie ihm von außen in den Rücken gestoßen wurde, stolperte er in den engen Raum, stürzte über einen Hocker und fiel auf den Tisch.
    Die Frau, die im kirschroten Seidenkleid mit einem kaum ihre Brüste bedeckenden, von Spitzen gesäumten Dekolleté in der Tür stand, mochte Hannes Tante sein, ähnlich sah sie ihr nicht im mindesten. Sie war so füllig wie Hanne mager, ihre Haut schimmerte durch die helle Schminke nicht nur auf den Wangen rötlich, und ihr aufgetürmtes, mit Kämmen und einer roten Seidenblume geziertes Haar war schwarz wie die Gänge in diesem Viertel.
    «Hat Mademoiselle wieder Gäste? Wie lange willst du noch herumliegen, Hanne? Ich kann mir nicht leisten, dich ewig durchzufüttern. Was glaubst du, was mich die Schmiergelder Tag für Tag kosten, damit die Herren in ihren Schreibstuben mich in Ruhe meine Arbeit tun lassen. Wir müssen alle für unser Brot arbeiten. So ist die Welt. Du hättest es einfacher haben können, du könntest auch so ein Kleid tragen und im Haus wohnen. Warum hast du dich nur mit diesem Nichtsnutz eingelassen?»
    «Bitte, Madame Regina.» Maline erhob sich, strich energisch über ihre Röcke und schluckte etwas hinunter, dasnur ein großer Klumpen Zorn sein konnte. «Bitte, Ihr seht doch, dass Hanne wirklich krank ist. Die Miete ist noch für zwei Wochen bezahlt, bis dahin habe ich längst ein anderes Quartier gefunden.»
    «Da bin ich aber gespannt. Das sagst du schon seit einer Woche, Maline. Und du? Wer bist du?» Ihr Blick traf Rosina und wurde dunkel. «Etwa die Verrückte, die meine besten Kunden behandelt wie hergelaufene Vagabunden?»
    «Da irrt Ihr Euch, Madame.» Rutger hatte sich aufgerappelt und schob sich vor Rosina. «Sie ist eine aus dem Garten, sie arbeitet dort. Ich habe sie mitgebracht, und von Euren – vornehmen Gästen ist uns keiner begegnet.»
    Madame Regina, oder wie immer ihr richtiger Name sein mochte, blitzte Rutger verächtlich an, bevor sie mit gespitztem Mund an Rosina hinuntersah. «Dein Glück, Mädchen», sagte sie. «Aber so eine schmutzige Schlampe wie dich würde sowieso keiner meiner Kunden anfassen.»
    «Natürlich nicht.»

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