Der Tote im Eiskeller
Ihr jetzt aus. Was ist so unglaublich?»
«Bei Euch, Madame. In Eurem Garten. Und was, bitte sehr, haben sie dort gemacht?» Es war nicht die nächstliegende Frage, doch sie fiel Wagner, in dessen Kopf es nur so surrte, als erste ein.
«Ihr habt wohl keinen Garten? Es ist hohe Erntezeit für das Obst. Ich gehöre zu den Glücklichen, deren Anwesen von der Flut verschont geblieben ist, meine Bäume tragen prächtig. Ich will daran denken, Euch ein Körbchen meiner Butterbirnen zu schicken. Was denkst du, Magda? Hängen noch genug an dem Baum in der hinteren Reihe, um so ein Körbchen zu füllen?»
«Oh, der Baum.» Magda richtete räuspernd ihre Schultern auf. «Ja, Madame, ganz bestimmt. Auch an dem Baum in der vorderen. Und die Pflaumen …»
«Richtig, die Pflaumen. Ja, die haben die beiden auch gepflückt. So etwas dauert lange, Weddemeister, da muss jede Minute des Tageslichts genutzt werden. Wie Ihr wisst, werden die Tore mit dem Einbruch der Dämmerung geschlossen, übrigens eine so lästige wie überholte Einrichtung. Deshalb muss ich meine Erntehelferinnen im Pavillon meines Gartens übernachten lassen. Er ist ein hübscher Pavillon, auch recht bequem, und die Aussicht aus den Fenstern ist superb.»
Madame Hecker hatte lange genug gesprochen, Wagner hatte sich von seiner Verblüffung erholt. Er glaubte etwaszu erleben, das er schon kannte. Es stimmte beinahe. Die herablassende Freundlichkeit, der selbstbewusste Ton – die bodenlose Lüge. Das gleiche Spiel wie vor wenigen Stunden bei dem Chirurgen im Mühlenhaus am Lombard. Aber Wagner war nicht bereit, sich zum Wurm machen zu lassen. Auch nicht zur Maus. So schnell, so einfach nicht.
«Und wann, bitte sehr, waren diese, diese – Helferinnen in Eurem Garten zur Birnenernte? An welchen Tagen?»
«Vergesst die Pflaumen nicht, Weddemeister, sie sind in diesem Jahr besonders köstlich. Wie die Birnen. In welchen Nächten, meint Ihr? Nun.»
Sie lehnte sich zurück, blickte zur Decke und Wagner frohlockte. Er konnte sich absolut nicht vorstellen, warum sie für diese Weiber log, die ihren eigenen Ehemann aufs Übelste erschreckt und vor der ganzen Stadt lächerlich gemacht hatten. Aber dass sie es tat, davon war er überzeugt, und gleich würde es sich erweisen. Sie lebte dort draußen in ihrem Garten und kümmerte sich nicht darum, was in der Stadt geschah, das pfiffen die Spatzen von den Dächern. Bestimmt wusste sie, wann ihr Ehemann überfallen worden war, aber kaum so genau, wie es erforderlich war, in welchen Nächten die anderen Männer. Die andern beiden und – ja, und auch Viktor Malthus.
Ihr Haar schimmerte rötlich im durch das Fenster hereinfallenden letzten Tageslicht, als sie ihn plötzlich wieder ansah, blickten ihre Augen unergründlich wie die einer Katze.
«Es waren mehrere Nächte, Weddemeister, ich habe viele Obstbäume. Auch diese speziellen Nächte waren darunter, das weiß ich sehr genau. Insbesondere die Sturmnacht, in der Viktor Malthus sein Ende in einem Eiskeller fand. Ein wirklich grotesker Ort. Ich verstehe Eure Aufregung nicht. Es ist ganz gewöhnlich, Hilfe für die Gärten zu bestellen.Auch, sie wegen des frühen Torschlusses für die Nächte zu beherbergen. So kann die Arbeit gleich nach Sonnenaufgang ihren Fortgang nehmen. Das ist in den großen Gärten nichts Besonderes, sondern eine Notwendigkeit. Es geschieht ständig.»
«Und warum», Wagner wippte triumphierend auf den Fußspitzen, «warum haben die beiden das nicht gesagt?! Warum hocken sie eine Nacht und einen Tag in der Fronerei und schweigen oder stricken lächerliche Ausreden von Spaziergängen und so weiter? Warum haben sie nicht einfach gesagt: Fragt Madame Hecker, sie weiß, dass wir es nicht getan haben können. Warum? Warum?»
«Ja, warum», überlegte Madame Hecker und brachte die auffahrende Neele mit einer winzigen Handbewegung zum Schweigen. «Genau das habe ich mich zuerst auch gefragt. Warum? Ich will es Euch sagen, Weddemeister. Weil sie rücksichtsvolle junge Frauen sind. Sie wollen nicht, dass Monsieur Hecker davon erfährt. Neele hat uns vor dem Ablauf ihres Kontrakts verlassen, das hat ihn schrecklich erzürnt. Er ist ein ehrenwerter Mann. Verträge sind ihm heilig, müsst Ihr wissen. Er hat mir verboten, sie je wieder zu beschäftigen. Ich bin eine gehorsame Ehefrau. Doch nun, wo es um einen so schwerwiegenden Verdacht geht», sie seufzte in ihr Taschentuch, allerdings hörte es sich verdächtig amüsiert an, «nun muss ich sprechen und
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