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Der Tote im Eiskeller

Der Tote im Eiskeller

Titel: Der Tote im Eiskeller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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besser abgelehnt hätte. Als sie einträchtig schweigend in der Kutsche saßen, an diesem heiteren, sonnigen Spätnachmittag, der Sterben und Tod in weite Ferne gerückt erscheinen ließ, als ihre eigenen Erinnerungen sie dennoch einholten, empfand sie Annes vertraute Nähe wie einen Schutzwall gegen die lauernde Schwermut.
    Das Haus der Familie Malthus in der Düsternstraße war wie das der Herrmanns’ am Neuen Wandrahm um die vergangene Jahrhundertwende gebaut worden. Es war kleiner, und anders als die mit steinernem Weinlaub, Blumengirlanden und Muschelwerk gezierte Fassade des Herrmanns’schen Hauses, war diese nur im Giebel und über den Fenstern mit gekreuzten Farnwedeln geschmückt. Die Rückseite des Hauses grenzte nicht an ein Fleet, wie es bei den Handelshäusern mit ihren großen rückwärtigen Speichern üblich war, sondern mit einem kleinen Garten und zwei massiven Schuppen direkt an die erste Häuserreihe des Gängeviertels.
    Die Magd, die Augusta und Anne die Tür öffnete, ließsie ohne Zögern eintreten, bat in der Diele zu warten und lief die Treppe hinauf. Die schwarz verhängten Wände und Fenster machten die Diele trotz des hellen Tages dämmerig. Augusta fühlte die Düsternis bedrückend wie die Mauern einer Gruft und wusste, sie hatte richtig entschieden. Die Tücher würden acht Wochen an ihrem Platz bleiben, so lange, wie auch eine Witwe nach dem Tod ihres Mannes das Haus nicht verlassen sollte, während der ersten zwei Wochen nicht einmal, um einen Gottesdienst zu besuchen. Für das lange, restliche Trauerjahr war es ihr verboten, mit der Gemeinde in der Kirche zu singen, obwohl der gemeinsame Gesang doch stets erhebend und ein Trost war.
    Augusta fand diesen Usus unsinnig und hart, zum Glück kam er in seiner ganzen Strenge langsam aus der Mode. Ernestine Malthus hatte sich nach dem Tod ihres Mannes strikt daran gehalten. Ob es ihr ein Bedürfnis gewesen war oder nur der Gehorsam gegen die wachsamen Augen und Ohren der Nachbarn, wusste Augusta nicht. Für den Tod eines Sohnes oder einer Tochter, der eine Frau doch zumeist in noch tieferes Leid stürzt als der Verlust des Ehemannes, gab es solche Regelungen nicht.
    ‹Immerhin›, dachte sie mit einem plötzlichen Anflug von erfrischendem Grimm, ‹werden bei uns die Witwen nicht, wie man es aus Ostindien hört, mit dem Leichnam des Mannes verbrannt.›
    Die Magd erschien auf dem oberen Treppenabsatz, sagte knicksend, Madame lasse bitten, und öffnete, noch bevor Anne und Augusta die ersten Stufen hinaufgestiegen waren, die Tür zum Salon.
    Salon, ein Wort, das Gastfreundschaft und heitere Eleganz verspricht, war nicht ganz der richtige Ausdruck. Obwohl die schwarzen Tücher fehlten, herrschte auch in diesemRaum eine muffige Düsternis. Die nur halb geöffneten Kattunvorhänge, das schwere Mobiliar aus dunklem Holz, der massive, fast bis zur Decke reichende Schrank – dieser Raum brauchte keine schwarzen Tücher, um für Trauerzeiten passend zu sein. Selbst die Porträts längst verstorbener Malthus’ wirkten nicht nur wegen ihres Alters düster. Bis auf das letzte. Es zeigte Wilhelm Malthus und war ein Jahr vor seinem Tod gemalt worden. Die Freundlichkeit, ja, Sanftmut seines Ausdrucks hatte Augusta an dem lebenden Wilhelm Malthus nie wahrgenommen – sie musste ihre Ursache im Auge des Malers haben. Monsieur Tischbein war nun mal ein gemütvoller Mensch.
    Dass sie nicht von Ernestine Malthus erwartet wurden, erkannte Augusta erst auf den zweiten Blick. Die um gewiss ein gutes Jahrzehnt jüngere Frau war genauso klein und rundlich, ihr Haar, nur von einem winzigen, schleierartigen Gebilde aus gehäkeltem dunklem Zwirn bedeckt, genauso nussbraun. Allerdings fehlte ihm das Grau, das bei Ernestine Malthus schon dominierte. Der schlechte Sitz ihres schwarzen Rockes, des Mieders und der leichten Bluse, die sie darüber trug, verriet geliehene Trauerkleidung. Und zwar nicht vom ersten Schneider.
    Mit vor der Brust gefalteten Händen und für den traurigen Anlass erstaunlich blitzenden Augen kam sie mit zögernd wippenden Schritten näher. Anne fühlte sich an einen balzenden Auerhahn erinnert.
    «Madame Kjellerup, Madame Herrmanns, ja, und Madame Kjellerup, welche Ehre.» Offensichtlich wusste sie nicht, wer zuerst zu begrüßen war: Augusta als die Ältere oder Anne als die Gattin eines bedeutenden Mannes. «Madame Malthus ruht, die liebe Ernestine, sie würde sich so freuen, Euch zu begrüßen. Leider hatte sie eine sehr schlechte Nacht,

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