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Der Tote im Grandhotel

Titel: Der Tote im Grandhotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Bellin
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Hornung nicht verraten. Was löste diesen Widerstand in ihr aus? War es Trotz? Eine atavistische Kraft? Eine Anordnung in ihren Genen? Die Tränen in ihren Augen waren keine Tränen der Schwäche.
    »Er hieß wirklich Hugendübel, Paul Hugendübel. Das hat er mir jedenfalls gesagt. Ich heiße Britta Schirrmacher. Wir hatten uns doch erst eine Woche vorher kennengelernt.«
    »Wie und wo?«
    »An der Rezeption. Ich wollte mich gerade anmelden, da war aber vor mir eine Gruppe Japaner dran. Paul stand auch da, neben mir. Er fragte mich, ob wir nicht zur Überbrückung etwas trinken wollten. Wir gingen in die Bar. Dann zogen wir gemeinsam in meine Suite. Ich nahm ihn mit, wir gaben uns als Ehepaar aus.«
    »Du bist eine Nutte.«
    »Ich hatte mich verliebt. Er sah sehr gut aus. Nicht so gut wie Sie allerdings«, traute sie sich, ihm zu schmeicheln. Sie wußte, daß die meisten Männer Komplimente genossen, besonders die über ihr Aussehen.
    »Ich würde es dir besorgen, aber du stinkst, Matka. Soll ich dir glauben? Keine Ahnung. Iß erst einmal deine Pizza. Sonst wird sie kalt.«
    Beinahe hätte sie hysterisch gelacht, trotz des scharfen Schmerzes. Als ob es für sie wichtig wäre, ob die Pizza heiß oder kalt war.
    Die Tür wurde aufgerissen. Der Magere stürzte herein.
    »Der Chef will sie sehen. Ist gleich hier.«
    Der böse Engel dirigierte Britta hastig zu ihrem Stuhl zurück. Der Magere nahm inzwischen die Pizza hoch und stellte sie auf den Tisch. Der Schöne knöpfte ihr Jackett wieder zu und drückte sie auf den Sitz nieder.
    »Keinen Mucks, Matka, ich kann sehr ärgerlich werden«, flüsterte er.
    Ein kratzendes Geräusch an der Tür. Der Magere huschte hin und öffnete. Der Schöne nahm Haltung an, erstarrte förmlich zur Salzsäule.
    Herein schlurfte eine Jammergestalt. Der Mann war alt und krumm, ja, er hatte eine Rückgratverkrümmung, einen Buckel. Auf dem Kopf trug er eine weiße Baseballmütze, der Schirm schien zusammen mit seiner langen, spitzen Nase einen Schnabel zu bilden. Das Gesicht war zerknittert. Graue Haut. Die Augen waren erst zu sehen, als der Alte den Kopf in den Nacken legte, um Britta zu betrachten: schöne, dunkle, große Augen. Ein merkwürdiger Kontrast zu der übrigen Erscheinung.
    Der Mensch trug eine Art Pyjama, grau-weiß gestreift, mit einem Adler auf der Brusttasche. Es wirkte wie Gefängniskleidung. Die schwarzen Schuhe aber waren elegant und offenbar handgenäht. Britta achtete bei Männern stets auf das Schuhwerk und kannte sich aus.
    Zugleich mit dem Auftritt der merkwürdigen Vogelscheuche drang ein intensiver Duft in den Raum und übertönte ihren eigenen Gestank und Rosmarin und Thymian der Pizza. Britta kannte den Duft nicht, aber er erinnerte sie an glückliche Einkaufsbummel, an Bloomingdale's, an die Welt der teuren Läden und gepflegten Männer, die für sie schon unwirklich geworden war in diesem Reich zwischen Leben und Tod. Er brachte sie beinahe um ihre Fassung.
    »Vlado«, sagte die Panoptikumsfigur und umarmte den Engel, der sich zu ihm hinunterbeugte und zwei schmatzende Küsse links und rechts auf die Wangen in Empfang nahm.
    Der Chef sah zu ihr hin, dann sprachen sie miteinander. Britta versuchte, aus Blicken und Mimik der beiden Männer Aufschluß zu gewinnen. Der Chef sah noch mehrmals zu ihr hin, dann erklärte er in gebrochenem Deutsch:
    »Sie weiß nicht. Gutes Frau. Ich nehme mit.«
    Wie konnte er wissen, was sie wußte? Vielleicht hatten sie hier eine Abhöranlage, und der Chef saß gemütlich oben im Sessel oder lag auf der Couch und hörte sich wie ein Hörspiel an, was seine Typen hier aus den Opfern herausfolterten.
    Der schöne Vlado erwiderte etwas. Er schüttelte den Kopf. Der Alte entgegnete kurz und heftig. Dann brüllte Vlado einen kurzen Befehl.
    Der Magere flitzte nach draußen und kehrte gleich darauf mit einem langen, schwarzen Cashmeremantel und einem schwarzen, lackglänzenden Herren-Ledermantel zurück. Bruno half dem Alten in den Cashmere, der ließ sich den Ledernen reichen und hielt ihn Britta hin. Sie schlüpfte hinein, gab sich mühe, dabei beweglich zu wirken, obwohl ihr jedes einzelne Glied weh tat, nicht zu reden von der Wunde, die ihr der schreckliche Vlado beigebracht hatte. Nur das alte Scheusal nicht verärgern!
    Immerhin schien er ihre einzige Chance zu sein, falls ihn nicht reiner Zynismus leitete.
    Sie wurde durch den Laden geführt. Der fischige Geruch schlug ihr dick entgegen. Ihr wurde übel. Gleichzeitig aber meldete

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