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Der Tote im Grandhotel

Titel: Der Tote im Grandhotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Bellin
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nicht. Seine Tochter ging auf eine andere Schule.
    Er hatte dem Kommissar nichts davon gesagt. Warum nicht? Das wußte er selber nicht. Es hatte ihm widerstrebt. Etwas in seinem Gemüt sagte nein dazu. Angst? Nein, Angst hatte er nicht gehabt.
    Herr Hornung machte Eindruck. Das Trinkgeld war sehr anständig gewesen. Und der Mann hatte die Aura von Erfolg und Männlichkeit, die Moritz bewunderte. Er war einer von den Kerlen, die in Werbespots Adler freiließen und tolle Autos fuhren. Die den Mann im Manne anmachen sollten.
    Seltsam war, daß Moritz sein Wissen ganz für sich behalten und auch Charlotte nichts davon gesagt hatte. Sie hatte schließlich allerhand Macht über ihn, wenn sie ihm Rücken und Nacken massierte, ihn streichelte und spielerisch genau so küßte, wie er es mochte.
    Und nun, wie er da schwer atmend stand und aus dem Fenster starrte, ohne die anderen Häuser mit anderen Fenstern und Gängen und Menschen wahrzunehmen, gewann er Klarheit. Er würde seine Chance nutzen. Anruf genügt, dachte er und wandte sich dem hohen Spiegel zu, in dem er sich von Kopf bis Fuß betrachten konnte. Bleikristall in einem wertvollen Rahmen. Spätbarock. Angeblich echt. Frühes achtzehntes Jahrhundert. Der Trödler hatte es geschworen. Moritz lächelte sich zu. Er mochte sich so. So lächelten die Putten auf dem Rahmen.
    Etwa um dieselbe Zeit betrachtete sich Richard Hornung im Badezimmerspiegel. Er war zufrieden: Die Bürste auf der Oberlippe war nahezu perfekt.
    Errol Flynn ließ grüßen. Rund um das Kinn, streng in Form gestutzt, mit einem Hauch Grau darin, wirkte der Bart männlich herb, signalisierte jedoch zugleich, daß der Träger ein Erfolgsmensch mit hinreichend extravaganten Neigungen war.
    Den Haarschnitt hatte sein Friseur wunschgemäß verändert, er nannte den Schnitt ›Architektenlook‹: stoppelig kurz, die runde Kopfform betonend, mit sehr kurzem Pony und einem Anflug von Koteletten, die zum Bart überleiteten.
    Der Haarton war durch eine rötliche Spülung ganz leicht aufgepeppt worden. Lucie hatte, nach anfänglichem Zögern, zugestimmt: »Ich hoffe nur, daß keine andere Frau dahintersteckt.«
    Angela hatte angerufen: »Tralala, der dritte Frühling ist da!« Seine Sekretärin zollte errötend Beifall. Aber darum ging es ja nicht.
    Er sah anders aus. Wenn er morgens seine Joggingrunde drehte, zögerten manche Leute, denen er so oft am Morgen begegnet war, mit dem Gruß. Einer erkannte ihn überhaupt nicht. Der alte Richard Hornung war von der Bildfläche verschwunden. Niemand würde ihn jetzt bei einer Gegenüberstellung sicher erkennen. Andererseits war die Veränderung nicht so spektakulär, daß sie Argwohn erregen konnte: Warum hat er das wohl gemacht?
    Dieser Brief! Als er eintraf, löste er einen Schock bei Richard aus, der alles bisherige übertraf. Sterbende sollten so fühlen. Stationen seines Lebens jagten vor seinem inneren Auge vorbei, das Stammhirn lieferte und löschte unkontrollierbar. Angst schnürte ihm die Kehle zu, bis sich plötzlich eine völlige Leere in seinem Kopf ausbreitete. Dann fand sein Herz vom flatternden Stakkato zu ruhiger Gangart zurück.
    Sehr geehrter Herr Hornung, jemand weiß, daß Sie der Mann im Grandhotel waren. Wenn Ihnen mein Schweigen 10.000 Mark wert ist, setzen Sie am Sonntag folgende Anzeige in die Berliner Morgenpost:
Harry, unser Boot ist da. Melde dich.
Keine Polizei. Sie erhalten Nachricht.
                     Ein Freund
    Am nächsten Tag bereits fuhr Richard nach Hamburg. Dort suchte er eine Hafenkneipe auf, deren einschlägiger Ruf auch nach Rendsburg gedrungen war. Draußen waren die üblichen Plakate mit nackten Mädchen angeschlagen, doch stand kein Anreißer vor der Tür. Vielleicht war es auch noch einfach zu früh dafür, jetzt um neunzehn Uhr dreißig.
    Der Schankraum lag im Souterrain. Man stieg einige ausgehöhlte Steinstufen hinunter. Er war mit allerhand Seefahrtsutensilien garniert. Von der Decke hingen Schiffsleuchten. In einer Ecke stemmte eine hölzerne Galionsfigur ihren blanken Busen statt Wind und Wogen dem säuerlichen Dunst von abgestandenem Bier, zu lange benutzten Wischtüchern, altem Rauch, Urin und Petroleum entgegen. Eine Schiffslampe blakte auf der Theke.
    Auf den Tischen lagen geblümte Plastikdecken. Auf dem Bord hinter der Theke standen Buddelschiffe und mit Muscheln beklebte Koggen. An einer Wand zeigte auch hier ein Schaukasten die Fotos von Stripperinnen. Die trostlose Atmosphäre wurde noch

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