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Der Tote im Grandhotel

Titel: Der Tote im Grandhotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Bellin
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Abstürze – wünschte sich das im Grunde nicht jeder? Und wie selten gab es das!
    Moritz setzte sich in den Schaukelstuhl und lauschte Phils Gesang. Nachher wollte er duschen und seinen rostroten, seidenen Morgenrock anziehen. Aber erst einmal ließ er die Wohnung auf sich wirken. Seine Wohnung! Ein sehr großes Zimmer, winziges Bad, winzige Küche, winziger Korridor. Riesenfenster, die über einen Außengang hinweg, der allen Mietern des Hauses und ihren Gästen und leider auch ungebetenen Besuchern offenstand, auf die belebte Straße hinausgingen. Keine Vorhänge. Wer glotzen wollte, sollte glotzen.
    Das pulsierende Leben einer Großstadt. Berlin war beinahe so gut wie London oder New York, diese Metropolen, von denen Moritz geträumt hatte, als er noch in Rendsburg lebte. Er hatte im Café gesessen und den Mädchen zugeblinzelt, seinen Klassenkumpels Witze erzählt. Er war einer von ihnen. Einer, der dazugehörte. Die Mädchen mochten ihn. Er war hübsch mit seinen widerspenstigen blonden Haaren und den veilchenblauen Augen. Ein Gesicht wie aus einem Werbeprospekt. Leider war er nicht groß, aber dafür gut proportioniert. Kräftige Schenkel, gerade Beine, schmale Hüften. Die Schultern hätten etwas breiter sein können, doch das ließ sich vielleicht noch durch Bodybuilding korrigieren.
    Oft hatte er sich im Spiegel des elterlichen Schlafzimmers betrachtet, dem einzigen Spiegel im ganzen Haus, in dem man sich von Kopf bis Fuß sehen konnte. Wenn seine Mutter beim Friseur gewesen war oder einkaufte oder Behördengänge erledigte, hatte er sich manchmal sogar nackt ausgezogen und gedreht und gewendet, sich sein Profil angeschaut, die gerade Nase, den etwas aufgeworfenen Mund, das kräftige Kinn, den Brustkorb, die flache Bauchpartie, das – dieses Allerwichtigste da unten. Sehnsuchtsvoll. Und mit einem kleinen Lächeln.
    In der Schule lernten sie vieles über Sexualität. Trotzdem brachte er es noch nicht auf die Reihe. Seinen Vater konnte er nicht fragen. Papa, der so alt war wie manche Opas von Mitschülern, war ein total verhaltener Typ. Stark und wortkarg.
    Moritz hatte mit der hübschen Jenni aus seiner Klasse geknutscht und nach Kräften gefummelt, aber es war nicht so toll gewesen, wie er erwartet hatte.
    Als er seinem Vater erklärte, er wolle kein Abitur machen, sondern ins Hotelfach einsteigen, dort könne man schnell Karriere machen, war der nicht gerade begeistert.
    Leni, die ältere Schwester, war mit einem Bankmenschen verheiratet. Hans Georg, der ältere Bruder, hatte eine angesehene Position als Filialleiter einer Lebensmittel-Großmarktkette. Und nun wollte Moritz, Nachkömmling und heimlicher Liebling von Hans Mach, der als Feuerwehrmann ein aufrechtes und gesetztes Leben führte, in diese fremde, unberechenbare Welt der Hotels aufbrechen. Aber der Vater gestattete es, unter vielen Ermahnungen und mit großen Bedenken.
    Als die Eltern ihren Moritz ein halbes Jahr später in Berlin besuchten, staunten sie über die hübsche, kleine Wohnung ihres Sohnes. Sie wußten, daß Leben in der Stadt teuer war. Sie verspürten ein dumpfes Unbehagen – wovon bezahlte der Junge die Wohnung? – und unterdrückten es beide, ohne miteinander darüber zu reden.
    Ihr Liebling hatte Geschmack und offenbar auch Erfolg. Moritz hatte immer schon lächelnd seinen Kopf durchgesetzt. Manchmal hatte Hans Mach den Eindruck, daß sein Sohn ihn nicht mochte. Verachtete? Haßte? Aber nein. Er schalt sich selber dafür aus. Der Junge war liebenswürdig. Jeder sagte das. Unfähig, Böses zu denken oder gar zu tun. Er hatte Fantasie, da wirkte einer leicht etwas überdreht und ungeduldig. Vielleicht war er eine Spur leichtsinnig, aber wer es zu etwas bringen wollte, mußte wohl auch etwas riskieren.
    Dieser Meinung war auch Charlotte.
    »Er ist eben kein Landei«, erklärte sie ihrer Cousine Lydia. »Dein Sohn ist der geborene Großstädter. So was von guten Anlagen. Der macht seinen Weg, sage ich euch.«
    Weder Charlotte selbst noch gar die Familie hatten es je fassen können, wie diesem soliden Boden so ein exotisches Gewächs hatte entsprießen können wie Charlotte. Eigentlich hieß sie Lieselotte, aber sie hatte schon als Teeny darauf bestanden, Charlotte genannt zu werden – stummes E am Schluß.
    Mit sechzehn hatte sie die Schule verlassen und war fortgegangen aus der provinziellen Enge, zuerst nach Hamburg, als Verkäuferin in einer Boutique. Dann nach Berlin, wo sie als Model arbeitete. Sie führte anfangs

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