Der Tote im Grandhotel
machen. Er mußte ihren flehenden Blick bemerken, ihr ramponiertes Aussehen, das in so einem Wagen doch
sicher auffiel.
Solche Luxusschlitten – mit Chauffeur! – fuhren doch sonst nur
in Werbespots, wenn die Dame im Fond Appetit auf irgendeine
Kleinigkeit bekam und die männliche Perle am Steuer die Nasche-
rei aus dem Geheimfach vorfahren ließ.
Bitte, dachte Britta inbrünstig, bitte, sieh her!!
Und er tat es wirklich. Er wandte den Kopf, schaute in Brittas
Richtung, schaute wieder geradeaus und fuhr an, genau wie der
Mercedes. O Gott, er hatte nur automatisch nach dem Nebenfahr-
zeug gesehen, um den Abstand zu prüfen, aus purer Gewohnheit.
Britta sah zu ihrem Nebenmann hin. Er lächelte sie an. Hatte
überraschend ebenmäßige Zähne. Wohl ein Gebiß. Er schwieg, aber Britta wußte, daß er etwas gemerkt hatte. Und sie fürchtete hellsich-tig, daß er sie dafür bestrafen würde.
Sie war nahe daran, in Tränen auszubrechen, aber dann sagte sie sich, daß ihre einzige Chance darin lag, den Rest bezaubernder
Weiblichkeit auszuspielen. Sie lächelte zurück.
So ein Lächeln hatte früher die Männer gefügig gemacht. Nick
Lederman hatte sie manchmal ›bright Britta‹ genannt, strahlende Britta. O ja.
Sie fuhren eine lange Strecke, hinaus aus der Stadt. Daß ihr die Augen nicht verbunden worden waren, konnte ebenso ein freund-48
liches Zeichen sein wie eins dafür, daß sie sowieso nie Gelegenheit erhalten würde, ihr Ziel preiszugeben.
Angst erfüllte sie, saß kalt in ihrem Bauch, lähmte ihren Atem, machte den Mund trocken und ließ die Augen brennen. Vor al em
steckte sie wie ein Schraubstock in ihrem Rücken.
Nie vorher hatte Britta wirklich Angst gehabt. Der Alte sprach
nicht zu ihr. Er hatte die schweren Lider fast geschlossen. Sein Kopf pendelte, die vorgebeugte Haltung hielt ihn beinahe in der Waagerechten.
Endlich hielten sie an. Eine breite Einfahrt war sichtbar, sehr großzügig und solide wirkend. Ein Tor öffnete sich automatisch.
Sie fuhren eine breite Allee entlang, eine dieser wundervollen Alleen in den neuen Bundesländern mit Bäumen, deren Kronen sich wie
gotische Spitzbogen zusammenfügten.
Als der Wagen knirschend auf dem Kies anhielt, erblickte Britta eine Villa, eher ein Schloß, mit einer breiten Freitreppe und Fron-ten sehr hoher Fenster an beiden Seiten. Zwei Männer traten an
ihren Wagen heran und öffneten die Türen.
Beide Männer trugen helle Hemden, Jeans und schwarze Leder-
westen. Der auf ihrer Seite verzog keine Miene, als sie herauskletterte in ihrer Wolke von Gestank.
Der Alte war, erstaunlich behende, ebenfalls ausgestiegen und
packte nun wieder ihren Arm. Er führte sie zu der Treppe, nahm
die Stufen elastisch und so schnell, daß sie nur mühsam mithalten konnte in ihrem geschwächten Zustand. Die breite Flügeltür führte unmittelbar in einen riesigen Raum. Britta hätte ihn als Saal bezeichnet. Er sah wahrhaftig aus wie einer der Räume bei einer
Schloßbesichtigung.
Der Onkel sagte etwas zu einem der Männer, und es bestand kein
Zweifel daran, daß er hier zu sagen hatte. Britta meinte den Namen Juri als Anrede herauszuhören. Juri – falls er wirklich so hieß –, nickte und ergriff nun anstelle des Alten ihren Arm. Er führte sie 49
aus dem Saal hinaus, durch einen langen Korridor mit vielen Tü-
ren. Er sah aus wie der Gang in einem Hotel, und vielleicht war dies ja auch eins?
Sie wurde in einen Raum geführt, der wirklich ein Hotelzimmer
teuerster Kategorie hätte sein können. Die Tür zum Bad stand offen, ganz in Weiß, Marmor, Frottee, Flausch auf dem Boden, ein
Riesenspiegel. Ein Wunder. Noch wunderbarer erschien ihr der
weiße Bademantel auf der Lehne eines weißen Sessels, auf den ihr Begleiter zeigte.
Nur jetzt nicht schwach werden. Nerven behalten. Der Mann
drehte stumm die goldenen Wasserhähne über der Wanne auf, sie
wagte zu sagen: »Danke, Juri.« Er nickte und ging hinaus.
Er ging! Sie war allein! Sie lauschte, ob sich der Schlüssel im Schloß drehte oder ein Riegel vorgeschoben wurde. Nichts zu hö-
ren. Ihr fiel ein Film ein, den sie vor einiger Zeit gesehen hatte. Ein perverser Kerl hatte da in allen Wohnungen seines Mietshauses Kameras versteckt und konnte so jederzeit beobachten, was die Mieter taten.
Wenn es hier so war, dann konnte sie es ja auch nicht ändern. Sie zog sich nackt aus, schüttete Badelotion ins Wasser, achtete auf die richtige Temperatur. Noch vor kurzem hatte sie sich dem
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