Der Tote im Schnee
die Fahrzeugbewegungen auf der Schneekippe in Libro zusammenzustellen. Inzwischen lag ihnen eine vorläufige Liste der Fahrer vor, die dort regelmäßig Schnee abkippten. Sie würde sicher noch länger werden. Wende hatte die Aufgabe übernommen, die Fahrer der Reihe nach anzurufen.
Darüber hinaus hatte Lundin das Reifenmuster überprüft, das die Spurensicherung in Libro gefunden hatte. Bislang sprach nichts dafür, daß ein Wagen der Stadtverwaltung das Profil im Schnee hinterlassen hatte. Andreas Lundemark, der zuständige städtische Beamte und der einzige, der außer den LKWs auf der Kippe zu tun hatte, fuhr einen Volvo mit einem völlig anderen Reifenprofil.
»Aber es kann natürlich jeder gewesen sein«, sagte Ottosson, »zum Beispiel jemand, der mit dem Hund spazieren gehen wollte oder dort ein Rendezvous hatte.«
Sammy hörte, daß Ottosson unterbrochen wurde.
»Ich rufe später noch einmal an«, sagte er deshalb schnell.
»Ich will noch ein paar Dinge überprüfen.«
10
Haver stand neben seinem Auto. Er beschloß, nicht an all die Verhöre und Überprüfungen zu denken, die durchgeführt werden mußten, sondern sich eine Aufgabe nach der anderen vorzunehmen. So hatte er immer gearbeitet, wenn die Menge der Informationen den Blick für das Wesentliche zu verstellen drohte.
Geh systematisch vor, dachte er, war sich aber im gleichen Moment nicht sicher, in welcher Reihenfolge er das nun tun sollte.
Saganders Werkstatt war in einer länglichen Halle untergebracht, in der Nachbarschaft einer Reifenfirma und eines Unternehmens, das Aluminiumtüren montierte. Es war eines dieser Gebäude, die einem nie auffallen würden, wenn man nicht in ihrer Nähe arbeitete.
Ein zwei Meter hoher Zaun, ein Hof mit ein paar Containern, einige Paletten mit Bottichen, die Metallspäne enthielten, und eine Ladefläche mit verschrotteten Rohren. Zwei Badewannen lehnten an einer Wand.
Haver registrierte, daß drei Autos vor dem Gebäude parkten. Ein Mazda, ein alter rostiger Golf und ein relativ neuer Volvo.
Als er den Hof betrat, glitten die Wolkenfetzen am Himmel auseinander, und die Sonne kam unerwartet heraus. Haver schaute hoch. Auf dem Nachbargrundstück schwenkte ein Kran herum und fierte seine Last ab. Haver blieb einen Moment stehen und beobachtete die Männer auf dem Rohbau. Einer von ihnen gab dem Kranführer, der in einer kleinen Kabine zehn Meter über der Erde zu erkennen war, ein Zeichen. Der Arm des Krans schwenkte daraufhin noch einen Meter weiter. Der Mann gab erneut ein Zeichen nach oben und rief einem Arbeitskameraden etwas zu, der lachte und etwas erwiderte.
Havers Vater war Bauarbeiter gewesen, und in seiner Kindheit hatte er ihn manchmal zur Arbeit begleitet, oft auf kleinere Baustellen, aber manchmal auch zu Großbaustellen mit einem Gewimmel von Menschen, Material, Maschinen und Geräuschen.
Sehnsuchtsvoll stand er nun da und beobachtete die Aktivitäten der Bauarbeiter und Schreiner. Er beneidete sie ein wenig; ihm wurde warm ums Herz, wegen der Sonne, aber auch aufgrund der Bewegungen der Männer und des Einklangs zwischen ihnen. Sogar ihre Arbeitskleidung, gefütterte Jacken in bunten Farben, ließen ihn glücklich grinsen.
Einer der Männer auf der Baustelle sah zu ihm herüber. Haver hob die Hand. Der Mann antwortete mit einer ähnlichen Bewegung und setzte seine Arbeit fort.
Ein schneidender Laut aus der Werkstatt brach den Zauber. Haver wurde in die Wirklichkeit zurückversetzt: schwarzer Asphalt, der unter dem schmutzigen Schnee zu sehen war, verdreckt von Schrott und Spänen, Rost und einigen herumfliegenden Stücken Wellpappe, und dazu die deprimierende Blechfassade von Saganders Werkstatt, deren Fenster völlig verstaubt waren.
Haver seufzte schwer und wich den matschigen Stellen auf dem Hof aus. Die Stahltür war unverschlossen. Er trat ein und wurde von metallenen Geräuschen, von den Funken eines Schweißgeräts und von Rauch empfangen. Ein älterer Mann bearbeitete mit einem Winkelschleifer eine Trommel aus rostfreiem Stahl. Der Mann trat einen halben Schritt zurück, schob sich die Schutzbrille in die Stirn und begutachtete seine Arbeit.
Er mußte Haver aus den Augenwinkeln bemerkt haben, nahm jedoch keine Notiz von ihm. Ein etwas jüngerer Mann, in einem ähnlichen blauen Overall, schaute von seinem Schweißgerät auf. Der Mann mit dem Schleifer setzte die Arbeit fort. Haver stand drei, vier Meter von ihm entfernt und wartete ab, schaute sich um und versuchte, sich den
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