Der Tote im Schnee
kleinen John bei der Arbeit vorzustellen.
Dann erblickte er eine dritte Gestalt im hinteren, dunkleren Teil der Werkstatt. Der Mann warf ein Rohrstück auf eine Arbeitsbank, holte einen Zollstock heraus und maß ein wenig schlampig die Länge des Rohrs, schüttelte den Kopf und warf es zur Seite. Er war um die Fünfzig und hatte seine halblangen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Er schaute auf, maß Haver mit einem Blick und verschwand anschließend hinter einem Gestell mit Rohren.
In einem kleinen Verschlag an der einen Längswand saß ein älterer Mann über einen Ordner gebeugt. Haver schätzte, daß dies Sagander war. Er nahm Kurs auf den Verschlag, nickte dem schleifenden Mann zu, als er an ihm vorbeiging, warf dem jungen Schweißer einen Blick zu und klopfte an die Glastür des Verschlags.
Der Mann, der keine Arbeitskleidung trug, schob seine Brille in die Stirn und nickte, als wollte er sagen, daß man ruhig hereinkommen solle. Haver trat ein. In dem Raum roch es nach Schweiß. Er stellte sich vor und machte Anstalten, seine Dienstmarke herauszuholen, aber der Mann winkte abwehrend mit einer Hand.
»Ich habe mir schon gedacht, daß Sie kommen würden«, sagte er mit rauchiger, whiskyheiserer Stimme.
Er stieß sich von der Schreibtischkante ab und rollte mit dem Stuhl nach hinten.
»Wir haben das vom kleinen John gelesen. Setzen Sie sich.«
Der Mann war um die Sechzig, relativ klein, vielleicht einsfünfundsiebzig, hatte ergraute Haare und rötliche Haut. Seine Augen standen weit auseinander, und er hatte eine kräftige Nase. Haver fand, daß Menschen mit großen Nasen willensstark aussahen, und in Saganders Fall wurde dies noch durch seine Art, zu sprechen und seinen Besucher anzusehen, unterstrichen.
Sagander sah aus wie ein Mensch, der Ergebnisse sehen wollte, und zwar schnell.
»Ja, John, hat ja hier gearbeitet«, sagte Haver. »Es muß furchtbar gewesen sein, in der Zeitung davon zu lesen.«
»Nicht so furchtbar, wie es für John gewesen sein dürfte«, erwiderte der Mann.
»Sind Sie hier der Chef?«
Der Mann nickte.
»Agne Sagander«, sagte er schnell.
»Wie lange ist John bei Ihnen gewesen?«
»Tja, wissen Sie, fast sein ganzes kurzes Leben. Er kam schon als junger Bursche zu uns.«
»Warum mußte er gehen?«
»Ganz einfach, es gab nicht genug Aufträge.«
Haver meinte, einen Anflug von Gereiztheit aus den Worten des Werkstattbesitzers herauszuhören, so als wäre Haver nicht schnell genug.
»War er ein guter Schweißer?«
»Ein sehr guter.«
»Und trotzdem mußte er gehen?«
»Wie gesagt, auf die Konjunktur hat man keinen Einfluß.«
»Es scheint aber doch viel los zu sein«, meinte Haver.
»Jetzt schon, aber damals nicht.«
Haver schwieg. Der Mann wartete ab; nach ein paar Sekunden rollte er wieder an den Schreibtisch heran und klappte den aufgeschlagenen Ordner zu. Haver beschloß, direkt zur Sache zu kommen.
»Wer hat den kleinen John ermordet?«
Sagander ließ seine riesige Hand auf dem Ordner liegen.
»Woher zum Teufel soll ich das wissen?« sagte er. »Fragen Sie doch mal seinen Bruder, dieses Großmaul.«
»Sie kennen Lennart?«
Der Mann stieß einen Laut aus, den Haver als ein Ja deutete, aber auch als einen Hinweis darauf, was Sagander von Johns Bruder hielt.
»Hat er auch hier gearbeitet?«
»O nein«, sagte Sagander und rollte wieder nach hinten.
»Wann haben Sie John das letzte Mal gesehen?«
Saganders Hand schoß zu seiner großen Nase hoch. Dieser Mann kann keine Sekunde stillsitzen, dachte Haver.
»Das ist schon eine ganze Weile her. Irgendwann im Sommer.«
»Ist er hergekommen?«
»Ja.«
»Was wollte er?«
»Er wollte was plaudern, uns besuchen.«
»Es gab keinen besonderen Grund für seinen Besuch?«
Sagander schüttelte den Kopf.
»Können Sie mir noch etwas über John erzählen, das über die Arbeit hinausgeht? Ich denke daran, ob er vielleicht einen Bekannten hatte, der …« Haver wußte nicht recht, wie er die Frage formulieren sollte.
»Der ihn umgebracht haben könnte, meinen Sie?«
»So ungefähr.«
»Nein, niemanden. Das ist hier ein Arbeitsplatz.«
»Ist mal etwas vorgefallen, das Sie jetzt, im nachhinein, mit dem Mord in Verbindung bringen können?«
»Nein.«
»Hat er oft um einen Vorschuß auf sein Gehalt gebeten?«
»Na Sie stellen Fragen. Das kam wohl vor, zwar nicht oft, aber ab und zu schon.«
»Konnte er nicht mit Geld umgehen?«
»Kann ich nicht behaupten.«
»Drogen?«
»O nein, da sind Sie tüchtig
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