Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tote trägt Hut

Der Tote trägt Hut

Titel: Der Tote trägt Hut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Cotterill
Vom Netzwerk:
Wie also sieht eine typische Thailänderin im Jahr 2008 aus?
    Sie wäre zwischen hundertzwanzig und hundertdreißig Zentimeter groß – ich bin eine Handbreit kleiner. Ganz sicher würde sie weder in Flipflops einkaufen gehen noch die positiven Auswirkungen von Kosmetika meiden oder dunkle Haut attraktiver finden als die der kadaverweißen Schauspielerinnen im Fernsehen. Ihre Sammlung niedlicher Emoticons wäre größer als ihr aktiver Wortschatz, und sie würde immer noch davon träumen, in einem fremden Land zu leben. Glaubt man den Umfragen, hätte sie schon vor ihrem fünfzehnten Lebensjahr mit Alkohol, Drogen und/oder Sex herumexperimentiert. Sie trüge ihre Haare lang, weil Männer langes Haar bevorzugen, und Gott weiß, dass unser einziger Lebenszweck auf diesem Planeten darin besteht, uns aufzuplustern und uns ein Männchen zu fangen. Sissi mag dagegenhalten, dass ich nur von den modernen Mädchen in den Großstädten spreche, aber ich weiß genau, dass diese Mentalität bis ganz hinunter zum unteren Ende der Nahrungskette reicht, bis ins hinterste Dorf.
    Und wie passe ich da rein? Ich bin vierunddreißig. Ich habe ein Gesicht, das bei einer Zwölfjährigen süß aussah, aber wie ein alter Pfirsich runzeln wird, bis ich fünfzig bin. Ich trage meine Haare kurz. Ich habe kleine, kecke Brüste und eine kleine Wampe, mit der ich – wenn ich vorm Computer sitze – aussehe, als wäre ich im vierten Monat schwanger. Ich bin launisch, beidseits der unangenehmsten Tage des Monats – je zwei Wochen in beide Richtungen. Tatsächlich weiß ich überhaupt nicht, was ich an mir haben sollte, das zwar keine Flut, aber doch ein stetes Rinnsal männlichen Interesses auslöst. Vielleicht haben die Mütter den Jungen beigebracht, wie ein nettes, bescheidenes Mädchen aussehen sollte. »Nimm dir eine Hausfrau für die Küche, und dann such dir eine, die sexy ist, mein Sohn.«
    Plötzlich jedoch finde ich mich im Kapitel über die thailändische Frau wieder. Gott bewahre, langsam werde ich liebenswert. Seit wir in den Süden gezogen sind, werde ich zur Höflichkeit gezwungen, erwidere das Lächeln fremder Menschen und treibe Konversation. In Chiang Mai konnte ich in einer introvertierten Sozialtrance herumlaufen. Nie hatte ich Zeit, zu kochen, einzukaufen, einen Garten zu pflegen oder Vieh zu füttern, und plötzlich ist das nun mein Leben. Und hier – auch wenn ich es nicht gern zugebe – fühle ich mich den Männern unterlegen. Die können hier alle Bäume fällen und schwere Netze voller Fische schleppen und Gräben ziehen und Latex zapfen und Häuser bauen. Ich dagegen kann nur Fische ausnehmen, und das habe ich bei YouTube gelernt.
    Es war ein interessanter Tag gewesen. Er hatte mit einem Toten begonnen und endete mit einer Rache. Es bereitete mir Sorge, dass Mair ihre Geschichte ausgerechnet an diesem Abend erzählte. Wenn sie fähig war, einen Professor zu erniedrigen, als ihr Verstand noch einigermaßen funktionierte, fragte ich mich, welche Strafe ihr skrupelloses Ich wohl für einen Hundemörder angemessen fand. Es war an der Zeit, meine Mutter im Auge zu behalten.
    Am nächsten Morgen weckte mich mein Handy mit der Steeldrum-Version von »Mamma Mia«. Der nächste Festnetzanschluss war fünf Kilometer entfernt, aber irgendein Kommunikationsmilliardär hatte unser Land mit Mobilfunktürmen akupunktiert. Einen davon konnte ich von meinem Fenster aus sehen, und nur der unansehnliche Berg dahinter trübte die majestätisch rostbraune Eleganz. Der Anruf kam von Dtor, einer meiner ehemaligen Kolleginnen. Atemlos erzählte sie mir, unser Regierungsgebäude sei über Nacht von alten Yuppies in gelben Hemden besetzt worden. Die Politik war um einiges komplizierter gewesen, bevor kürzlich das System der bunten Hemden aus dem englischen Fußball übernommen wurde, was eine große Hilfe war, wenn man wissen wollte, wer zu wem gehörte. Die Gelben, die von einem Medienmogul geführt und vom Militär diskret unterstützt wurden, bekämpften die Rothemden, die größtenteils aus dem Norden stammten und von einem Ex-Fußballklub-Besitzer, Expremierminister, Ex-Telekommunikations-Zaren und Expolizisten unterstützt wurden, der sich momentan im Exil befand. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis Fraktionen von Schwarz-Weiß-Gestreiften und Rosa-Gepunkteten auftauchten. Oft dachte ich: »Könnte man ihnen doch nur einen Ball geben …!«
    Nach Dtors Aussage waren die Gelbhemden in der Nacht durch die Polizeiabsperrungen

Weitere Kostenlose Bücher