Der Tote trägt Hut
Abend war es bewölkt. Kein Mond am Himmel. Er wollte keine Taschenlampe benutzen, denn er wäre meilenweit zu sehen gewesen. Er hatte nur sein Feuerzeug, und damit hat er geleuchtet, bis es leer war. Er hat nicht gefunden, was er suchte.«
»Opa Jah«, ich gab mir Mühe, nicht herablassend zu klingen, »das Feuerzeug könnte sonst wem gehört haben. Es könnte schon seit Monaten da liegen.«
»Ha!«, sagte Opa. »Anscheinend verbringst du nicht sonderlich viel Zeit in Tempeln. Die Novizen sind schon im Morgengrauen mit Strohbesen und Abfallpiksern unterwegs. Danach kommen die Witwen, die den Mönchen Essen spenden und auf allen vieren durch den Tempel kriechen, um Müll zu sammeln. Außerdem haben sich vor zwei Tagen mehrere Detectives den Tatort angesehen. Selbst solche Idioten, wie sie heutzutage bei der Kripo arbeiten, hätten dieses Feuerzeug gefunden. Nein, Mädchen, das Feuerzeug kam später. Das hat gestern Abend jemand weggeworfen. Es gehört dem Mörder, und er wird wiederkommen.«
Er nahm seinen Teller, stellte ihn in die Schüssel mit dem Abwasch und ging hinaus. Ich staunte, dass Opa überhaupt so viele Worte kannte. Seit Omas Tod hatte er nicht mehr so viel geredet. Und – das musste ich ihm lassen – es war kein dummer Gedanke.
»Darf ich meine Geschichte jetzt zu Ende erzählen?«, fragte Mair.
»Mach ruhig, Mair«, sagte ich. »Aber ich warne dich: Opas Auftritt ist schwer zu toppen.«
»Er hieß Krit«, sagte sie.
»War das vor Dad?«, fragte ich.
»Er sah sehr gut aus, aber er war ein Mistkerl. Dozent an der Universität. Er hat eine seiner Studentinnen geschwängert und so getan, als wüsste er von nichts. Vergesst nicht, das war die Zeit vor DMZ.«
»DNA, Mair.«
»Vorher jedenfalls. Also gab es keine Möglichkeit, ihm irgendwas nachzuweisen. Aber ich kannte das Mädchen und glaubte ihr. Krit kam manchmal in unseren Laden, und eines Tages habe ich ihm eine Falle gestellt. Ich habe ihm erzählt, ich sei noch Jungfrau, und mein erstes Mal sollte mit einem richtigen Mann sein, nicht mit einem dieser kleinen Jungs vom Campus. Ich wollte einen Mann, der wusste, was Mädchen sich wünschten.«
Es hat etwas Entwürdigendes, am Küchentisch zu sitzen und sich die Sexgeschichten seiner Mutter anzuhören, aber bei ihr klang noch die schmuddeligste Anekdote wie ein Märchen. Arny und ich waren wieder zwölf. Wir lächelten uns an und nickten, dass sie fortfahren solle.
»Ich war etwas älter als die Mädchen, auf die er es abgesehen hatte, aber ich war so zierlich, dass ich damit durchkam, besonders in meiner geliehenen CMU-Uniform. Ich verabredete mich mit ihm spätabends im Little Duck Hotel draußen vor dem Campus. Ich hatte uns ein Zimmer gemietet und war schon vor ihm da. Ich habe ihn gebeten zu duschen. Als er aus dem Bad kam, war alles dunkel. Er konnte mich gerade eben unter der Decke erkennen, im Licht vom Badezimmer. Ich habe ihm gesagt, dass er das auch noch ausmachen soll. Wahrscheinlich stand er auf dominante Frauen. Ich habe ihm gesagt, ich sei nackt, und ihn gebeten, sein Handtuch wegzunehmen. Als ich hörte, wie es auf den Boden fiel, habe ich laut geschrien. Die Tür flog auf, das Licht ging an, und drei Studenten vom Fotoklub stürmten mit ihren Kameras herein und knipsten, während wir herumrannten, wie Mutter Natur uns erschaffen hatte. Was für ein Spaß!
Einen Monat lang hingen überall auf dem Campus Fotos von Professor Krit an den Bäumen. Nur sein Kopf fehlte. Ich muss sagen, nach dem Überfall ist der Mann regelrecht geschrumpft, bis er kaum noch vorhanden war. Die Fotos waren schrecklich peinlich. Wir hatten Sachen darunter geschrieben wie: ›Wisst ihr, wem der kleine Lümmel hier gehört?‹ und ›Wen mag unser kleiner Dozent wohl diesmal jagen?‹ Natürlich sah man auf den Bildern nur Teile von mir. Ich hatte damals eine hübsche Figur, aber das bedeutete schließlich noch lange nicht, dass mich alle sehen sollten, oder? Im Laufe des Monats war auf den Bildern immer mehr von Krit zu erkennen, bis es nicht mehr lange dauern würde, dass jeder auf dem Campus wusste, um wen es ging. Wie zu erwarten, trat jemand Drittes an die schwangere Studentin heran und versprach, ›sich um alles zu kümmern‹, unter anderem mit einer hübschen, finanziellen Entschädigung. Nachdem das Kümmern erledigt und das Geld sicher verwahrt war, sah ich keinen Grund mehr, das Spielchen weiterzuspielen.«
»Ihr habt keine Fotos mehr aufgehängt?«, vermutete Arny.
»Großer Gott,
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