Der Tote trägt Hut
geschlendert, hatten eine unblutige Übernahme unserer Machtzentrale inszeniert und neue Vorhänge aufgehängt. Bangkoks Mittelschicht hatte revoltiert. Am besten stellt man sich vor, Richard Bransons Partei würde im House of Parliament in Westminster ein Sit-in organisieren. Unvorstellbar, oder? Das dachte ich auch. Und doch waren sie da. Thailändische Politik. Ich hatte Gelegenheit gehabt, zur politischen Redaktion zu wechseln. Man hatte mir erklärt, Verbrechensgeschichten seien für so ein kleines Mädchen doch zu gefährlich. Ich trieb ihnen die Idee aus. Entscheidend war, dass Mord und Raub und Gewalt in Thailand handfest waren. Politik war die reine Augenwischerei und im Grunde albern.
Abgesehen davon, dass uns die Weltpresse auslachte, bereitete mir an der Lage in Bangkok vor allem Sorge, dass kein Mensch mehr den wichtigen Dingen wie polizeilichen Ermittlungen, Mönchsmorden und Autopsien die entsprechende Aufmerksamkeit widmete. Bestimmt standen alle Polizisten in ihren schwarzen Macho-Kampfanzügen vor dem Regierungsgebäude aufgereiht. Und niemand wusste, wer das Sagen hatte. Der amtierende Premierminister und angesehene Fernsehchef wurde aus dem Amt getrieben, weil er zur besten Sendezeit gekocht hatte, während es überall im Land brodelte. Polizeichefs wurden derart regelmäßig ausgetauscht und in den vorzeitigen Ruhestand geschickt, dass es mehr inaktive als aktive Polizeioberste gab. Daher schien es mir, als würden wir in Pak Nam eine ganze Weile auf uns allein gestellt sein.
Ach, und noch was hat Dtor mir erzählt: Der Kopf in der Plastiktüte am Ende vom Seil? Es war Selbstmord.
Mein zweiter Anruf an diesem Morgen kam von Sissi. Wir machten uns eine Weile über die Politik lustig und gingen dann zu Ernsthafterem über. Die chinesische Familie Chainawat, die Old Mel das Land verkauft hatte, saß in Ranong an der Andamanischen Küste. Sie nannte mir eine Adresse und mehrere Telefonnummern der Chainawat Inc. Dazu die Privatnummer von Vicha, dem momentanen Geschäftsführer. Die Familie hatte früher mit verschiedenen kleinen Firmen und Investments zu tun gehabt, ihre Unternehmungen in letzter Zeit jedoch auf Fischerei und Immobilien konzentriert. Sie besaß etwa vierzehntausend Hektar Land als Spekulationsobjekt im Süden und unterhielt eine Flotte von Hochseetrawlern, die gewaltige Netze über den Meeresgrund zogen und die Korallen vernichteten. Schön für den Profit, schade für die Umwelt. Ansonsten hatte Sissi keine Schweinereien der Familienfirma finden können, aber sie wollte weitergraben.
Blissy Travel, das Reisebüro von den Ganja-Blättchen, war in den späten Siebzigern geschlossen worden, als die erhoffte Touristenschwemme im Süden ausblieb. Ein in Surat ansässiger Geschäftsmann namens Somjit Boondet hatte Blissy Travel geleitet. Danach schien es, als sei er zwanzig Jahre abgetaucht, bis im Jahre 2002 ein gewisser Somjit Boondej im Handelsregister auftauchte, und zwar als Filialmanager des Home Art Building Accessoires Mega Store in Surat.
»Das sieht man oft«, erklärte mir Sissi. »Diese kleinen Unstimmigkeiten in der Schreibweise. Es könnte ein Schreibfehler sein – so was passiert andauernd –, aber als altgediente Zynikerin vermute ich eher einen Betrug und wurde dabei noch selten enttäuscht. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie leicht man seinen alten Ausweis verliert und einen neuen beantragt. Man steckt der Schreibkraft tausend Baht zu, sie rutscht mit dem Finger auf der Tastatur ab, und – voilà – schon ist man jemand anders. Beim Computercheck taucht man nicht mehr auf. Also habe ich mit der alten Schreibweise weitergesucht, und was meinst du, was ich gefunden habe?«
»Gefängnis?«
»Sehr gut! Strafanstalt Songkla, 1979 bis 2002.«
»Oha, das klingt nach was Ernstem.«
»Totschlag. Fahrlässige Tötung. Und weißt du, warum er die volle Strafe absitzen musste? Keine Bewährung, keine vorzeitige Entlassung wegen guter Führung? Weil er ein Touristenpärchen auf dem Gewissen hat.«
»Was? Das ist ja wunderbar! Ich meine, nicht für die, aber … du weißt schon.«
»Ich wusste, dass es dir gefallen würde.«
»Offensichtlich war es ihnen nicht so ernst, dass sie ihn wegen Mordes verurteilt haben.«
»Der Staatsanwalt war sich seiner Sache sicher. Er hatte lebenslänglich gefordert.«
»Sissi, du bist …«
»Ich weiß.«
Der Tag hätte gar nicht besser anfangen können. Zwei Spuren, und ich hatte noch nicht mal mit dem Frühstück angefangen. Ich
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