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Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)

Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)

Titel: Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Krohn
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die Geschwister hatten eine Zeitlang vorzugsweise dort unten gespielt, Höhlenforscher, Schatzgräber, sogar Krieg, angelehnt an die Kinderbücher und die Erzählungen der Mutter. Also waren sie und Umberto übereingekommen, sich dort unten zu treffen.
    Er kam spät an dem Abend. Fast wäre sie wieder gegangen. Es war ein wenig unheimlich, so ganz allein unter der Erde – aber gleichzeitig unglaublich reizvoll. Umberto war schließlich doch noch aufgetaucht, reservierter als sonst, angespannt wie ein Geschäftsmann. Keine Zeit für langes Vorgeplänkel, zur Sache Schätzchen. Er hatte sich auf geführt, als sei er der Prinz und sie ein Aschenputtel auf dem Strich. Oder bereits unter dem Strich, dachte die Tabakfrau. Und dann auch noch dieses Pulver – wie idiotisch, mir eine Prise Kokain anzubieten, ausgerechnet mir! – als hätte ich das nötig. Und sich dann selbst eine Linie reinzuziehen und wie Christus die Augen nach oben zu verdrehen, als wäre er schon im Paradies. Leck doch mal … Dazu diese glänzenden, befehlenden Augen, herrisch, beherrschend, na los, mach schon, mach dies, mach das, komm schon, los doch, die dann wieder glitzerten und funkelten, sei doch nicht so, ich hab’s nicht so gemeint, verführerisch, lockend, nun mach endlich, tiefer, tiefer, drückend, drängend, schneller, schneller, jajajajetzt, mamma mia , ahhhhh … Und dann Schluß. Aus. Untergewalzt. Weggewälzt. Das hatte er vorher nie gesagt, beim Orgasmus dieses: mamma! mamma mia! Das war der Gipfel. Und der Schluß. Alle Lust war in großen Placken von ihr abgefallen wie der Putz von den Häuserfassaden in den Quartieri. Nein, nicht alle Lust. Ein winzig kleiner Hoffnungskeim hatte sich irgendwo geregt und ihr zugeflüstert, das sei die Ausnahme gewesen, es würde wieder anders werden, so wie vorher, das Kokain sei schuld an diesem einen verkorksten Abend, die Arbeit, der Streß, die keifende Ehefrau, irgend etwas, aus dem sie immer ausgeschlossen sein würde. Sie hatte sich erneut mit ihm verabredet. Wegen der Hoffnung.
    Und die Hoffnung zu Grabe getragen, dachte sie jetzt. Umberto war schon tot gewesen, als sie ihn auf dem Diwan gefunden hatte. Völlig unversehrt, bis auf das Loch in der Brust. Und im Gesicht der Ausdruck reinsten Erstaunens: daß ihm so etwas passierte. Sie hatte sich über ihn gebeugt, ihn sich noch einmal angesehen: das Gesicht eines Möchtegernprinzen, sein Eintagebart wie Gras im Frühjahr, der Körper leicht untersetzt, stämmige Beine, muskulöser Oberkörper, im offenen Hemd sichtbar: die behaarte Brust. Und sein Kettchen glitzerte wie ein Sonnenstrahl frühmorgens am Meer, dabei stand ihm das Wasser doch bis zum Hals, sie wartete auf ein Prusten, auf tausend Wassertröpfchen, das wilde Schütteln des Kopfes, ein verwegenes Zurückwerfen der Stirntolle, und natürlich geöffnete Augen, sternförmig zusammenklebende Wimpern … Aber nein. Diese Augen waren dunkel, er schlief den Dornröschenschlaf. Wer wollte ihn noch wachküssen, diesen Prinzen? Armer Umberto. Auch Prinzen waren letztlich nur Männer. Der Mann schrumpfte und verblaßte zugleich. Alle Farbe wich von ihm. Grautöne breiteten sich aus. Sie werden sogar seine Konturen auflösen, bis nur noch Staub bleibt, grauer Staub, und Stille, dachte die Tabakfrau, jenseits jeder Wut, jenseits der Trauer. Denn wenn sie ehrlich war, war Umberto schon beim Mal zuvor für sie gestorben…
    In die Stille hinein hatte sie dann plötzlich Stimmen gehört, die lauter wurden, Frauenstimmen. Sie hatte sich in einen dunklen Gang zurückgezogen und gewartet, ein riesiger Resonanzraum aus Herzklopfen, das außer ihr niemand hörte. Die Frauen waren näher gekommen. Sie hatten den toten Umberto gepackt und davongeschleppt und -geschleift. Zwei weitere ehemalige Geliebte, hatte sie gedacht und Genugtuung verspürt. Jede Angst war gewichen, dahingegangen mit dem Toten, und sie war den Frauen auf dem Fuß gefolgt, hatte die Gespräche aufgeschnappt, auf die sie sich zunächst keinen Reim machen konnte. Die Frauen luden Umberto ab, gingen weiter, bogen irgendwann in einen Quergang ein, machten sich in einer Kammer zu schaffen. Sie hatte sich so nahe wie möglich herangeschlichen, Gesprächsfetzen erlauscht. Nach einer langen Weile waren die Frauen wieder herausgekommen, eilends um die Ecke gebogen und davongestapft. Sie hatte gewartet. Einfach gewartet, bis die Stimmen und die Schritte verklungen waren, und dann noch mindestens eine Viertelstunde länger, ob sie auch

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