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Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)

Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)

Titel: Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Krohn
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wirklich nicht wiederkamen. Erst dann hatte sie sich den Raum angesehen, der von dem Quergang abzweigte.
    Es war unglaublich. Phantastisch. Skandalös. Die Schatzkammer des Prinzen … Gemälde stapelten sich an den Wänden, unter Bettüchern waren etliche Statuen verborgen, flache Kisten voller Marmorplatten und Mosaikteilchen, hohe Kerzenleuchter, Kruzifixe, sogar zwei im Licht der Taschenlampe prächtig funkelnde Monstranzen. Sie hatte sich die Bilder angesehen, dann eines an sich genommen, das ihr sofort auf gefallen war: die Frau aus dem Volk, wie für sie gemalt. Instinktiv hatte sie gleich noch ein zweites mitgenommen, das ihr zwar weniger gut gefiel, aber hier mußte man einfach profitieren, und zwar ohne groß nachzudenken. Das kam später. War es ein Verbrechen, Verbrechern etwas zu klauen? Diebstahl von Diebesgut? Rückführung von Diebesgut unter außergewöhnlichen Umständen? War es ein Verbrechen zu schweigen? Sollte sie nicht doch zur Polizei gehen? Ehrlich währt am längsten, ein schöner Spruch, aber in Wirklichkeit währte Unehrlichkeit bedeutend länger. Ich hole mir meinen Teil auf meine Weise, dachte die Tabakfrau. Ich zweige etwas ab vom großen Kuchen, vergleichsweise nur ein paar Krümel, aber diese Krümel sind für mich Gold wert. Ich brauche das Geld, um hier wegzukommen – ein verständlicher, integrer Grund, oder etwa nicht? Sie mußte nur noch jemanden finden, der ihr das zweite Bild abnahm. Vielleicht kannte die Malerin sich aus. Sie nahm sich vor, sie zu fragen, ob sie nicht jemanden kannte, einen Kunsthändler zum Beispiel …
    »Basta!« Livia stöhnte auf und ließ wütend den Pinsel fallen. »Es klappt einfach nicht. Mist, verfluchter! Ich bin zu geschafft. Lassen wir es für heute gut sein! Tut mir leid!«
    »Oh, das macht nichts«, sagte die Tabakfrau gelassen.
    »Wann haben Sie wieder Zeit?«
    »Dienstagabend?« schlug die Tabakfrau vor.
    »In Ordnung.« Livia ließ sich in den Sessel fallen.

42
    Die Mutter der Tabakfrau saß im Schatten einer von Weinreben umrankten Wellblechpergola in Santa Maria del Pozzo, einem Dorf im nördlichen Umkreis des Vesuvs, und schwatzte mit einer Nachbarin. Zwei dicke Frauen um die Siebzig, auf ihre Kinder wartend, die an diesem Sonntag zum Mittagessen kommen würden, das die Mütter einen Vormittag lang zubereitet hatten wie früher für die gesamte Familie. Der Vater der Tabakfrau war an Lungenkrebs gestorben, obwohl er nie geraucht hatte. Seither lebte die Mutter allein. Sie freute sich über jeden Besuch. Ihr Sohn Luigi, der mit seiner Familie in Triest lebte, ließ sich einmal pro Jahr in der südlichen, ärmeren Hälfte des Landes blicken, ihre älteste Tochter Elsa lebte in Rom und kam ein-, zweimal im Monat, und im Wechsel Assunta, die heute zwei Freundinnen mitbringen würde.
    Es wurde ein ausschweifendes Mittagessen. Artischocken aus dem eigenen Garten, den die Mutter der Tabakfrau stolz vorzeigte. Sie erkundigte sich nach ihren Enkeln und wunderte sich, daß Livia keine Kinder hatte. Marlen erzählte von Luzie, und sie kamen auf Kindheiten zu sprechen und darauf, wie anders früher alles gewesen war.
    Die Tabakfrau brachte das Gespräch behutsam auf die vier Tage im September 1943. Auch wenn Marlen sich im Moment nur marginal für das Geschehen vor fünfzig Jahren erwärmen konnte und – ähnlich wie Livia – anderen Dingen nachhing, erzählte sie kurz von ihrem Vater, wie sie auf das Thema gekommen war, was sie daran interessierte.
    Die Mutter der Tabakfrau hielt ähnliche Geschichten bereit wie Livias Großmutter, auch wenn sie zehn Jahre jünger war. Sie erinnerte sich an die harmlosen ersten Luftschutzübungen vor Ausbruch des Krieges. »Ein Kinderspiel, das nur deshalb zu langweilig wurde, weil wir acht Stunden lang unten bleiben mußten, in den unterirdischen Gängen, die sie extra ausgebaut hatten. Aber 1939 war ja alles noch ein großer Jux«, fügte sie hinzu. Wie die meisten Nachbarn waren auch ihre Eltern für sechs Lire Mitglied der UNPA geworden, der Unione Nazionale Protezione Aerea, dem nationalen Luftschutzverband. Sie hatten damals in der Nähe der Piazza San Gaetano gelebt, im historischen Zentrum der Stadt, wo sich auch der Zugang zum Luftschutzkeller befand, eine breite Treppe, die immer tiefer in die Erde führte.
    Die Mutter der Tabakfrau wandte sich an ihre Tochter. »Assuntina, du könntest deinen beiden Freundinnen diese Gänge doch einmal zeigen.« Und zu Marlen und Livia: »Sie müssen nämlich wissen,

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