Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
Augen.
»Genau so, du machst das schon ganz gut, noch ein wenig zerweichter, mütterlicher, jenseitiger bitteschön, auch am Outfit müßte man was tun, und vielleicht wird es schwierig, wenn du gleichzeitig Modell und Ausführende bist, aber ansonsten…«
»Eher stellen sie Videogeräte in den Kirchen auf«, lachte Livia. »Die moderne Bilderflut. Sequenz 200 Lire. Die Kirche ist progressiv, man paßt sich den Sehgewohnheiten des gemeinen Volkes an…«-»… um hinter der Netzhaut alles so zu lassen, wie es ist«, ergänzte Rosaria.
Gemeinsam gingen sie die aktuellen Zahlen durch. Bei den Skulpturen hielt sich der Schwund insgesamt in der Waage, im Schnitt wurden 28 pro Jahr gestohlen, in diesem Frühjahr bisher nur acht. Krippenfiguren schienen auf dem Markt nicht mehr gefragt zu sein, oder es lag daran, daß die Museen ihre Sicherheitsvorkehrungen erhöht hatten. 1981 waren insgesamt 195 Krippenfiguren verschwunden, im Jahr darauf sogar 301, danach gab es erfreulicherweise fast ausschließlich Nullrunden. Steigender Nachfrage erfreuten sich hingegen Möbel und sonstige Gegenstände aus Kirchen wie Weihwasserbecken, Bethocker, Bänke, Türen von Seitenkapellen – Phase zwei des Kunstdiebstahls, wenn alles andere leergeräumt ist, dachte Livia. Ob sie danach wohl anfangen, mit Hammer und Meißel die Kirchen auszuhöhlen wie Termiten, Marmorfußböden abzutragen, die Kuppel abzuheben? Wenn das so weiterginge, wären Neapels Kirchen bald leergeräumt, und die Kirchgänger müßten ihre eigenen Kruzifixe mitbringen.
Betroffen waren in diesem Jahr bislang ausschließlich Kirchen, keine Sammlungen, Museen oder privaten Haushalte – soweit tatsächlich alle Diebstähle erfaßt worden waren. Doch nicht einmal davon konnte man ausgehen. Manche Herrschaften zogen es vor, Kunstdiebstähle aus ihren Villen nicht an die große Glocke zu hängen. Sie ließen gewissen Leuten ein gewisses Sümmchen zukommen, so daß ermittelt wurde, ohne daß Namen fielen oder in irgendeinem Computernetz erschienen. Es war auch schon vorgekommen, daß Pfarrer geschädigter Kirchen sich einfach nicht an alle geraubten Gegenstände erinnern konnten. Aus jedem möglichen Verhalten ließen sich alle möglichen Rückschlüsse ziehen – doch das war weder Livias Aufgabe noch die ihrer Kollegin: sie hatten sich um Fakten und um Pragmatisches zu kümmern. Im Moment bereiteten sie unter anderem das Begleitheft zu einer Ausstellung über Kunstraub vor, die im Herbst in Neapel gezeigt werden sollte.
Die Dokumentation Kunstdiebstahl war Ende der achtziger Jahre ins Leben gerufen worden, und zwar hauptsächlich zu Zwecken der Erfassung und Statistik. Ab 1990 hatte man Rosaria, die ein Jahr lang stundenweise dort gearbeitet hatte, fest angestellt, und sie hatte die Abteilung auf- und ausgebaut. Rosaria war Juristin, hatte ursprünglich Strafverteidigerin werden wollen, diese Karriere jedoch nach einem unbezahlten Praktikum bei Gericht gleich mit zu den Akten gelegt – sie wollte weder den korrupten Staat vertreten noch als todesmutige Einzelkämpferin auftreten. Also hatte sie alles hingeschmissen und – wie zur Strafe oder zur Läuterung, je nachdem – drei Jahre als Bardame gearbeitet, was wiederum ihr Ehemann, Professor für Wirtschaftsrecht an der Universität von Salerno, nicht aus gehalten hatte. Und was Rosaria vor allem im Umgang mit den Carabinieri sehr zugute kam: rotlichtgeprüftes, zuweilen kaltschnäuziges Mundwerk, profunde Kenntnisse des Gesetzbuches sowie der Männerwelt.
Denn die Abteilung Kunstraub hatte laufend mit dem Comando Carabinieri Tutela Patrimonio Artistico zu tun, das für die Wiederbeschaffung der gestohlenen Kunstwerke zuständig war, während wiederum die Kripo mit leider sehr bescheidenen Erfolgen versuchte, den Dieben das Handwerk zu legen, die zumeist nationalen oder sogar internationalen Kunstraubketten zuarbeiteten. Weder die Carabinieri noch die Mitarbeiter der Kriminalpolizei – ausschließlich männlichen Geschlechts – nahmen die beiden Frauen in der Kunstdokumentation ernst. Für sie waren Rosaria und Livia bessere oder schlechtere Tippsen, die an der Papierfront hockten und bestenfalls Schneewittchenarbeit erledigten. Während sie selbst – »die sieben mal sieben Zwerge«, zu denen Rosaria sie ernannt hatte-, die großen Kämpfer und Beschützer des abendländischen Kulturguts, wie sie sich selbst sahen, es mit gefährlichen Verbrechern internationaler Kunstrauborganisationen zu tun hatten, wo es
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