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Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)

Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)

Titel: Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Krohn
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Jahren wechselnde Regierungsämter innehatte und wiederum mit Robertos Vater in der Resistenza gewesen war. Wie auch immer. Jeder hatte seinen Job irgendwem zu verdanken. Ohne Dank und die richtigen Kontakte lief nichts.
    Das mußte Livia nach hartnäckigen Versuchen des Wegredens spätestens in dem Jahr einsehen, als sie auf eigene Faust, bewehrt mit eigenen Fähigkeiten und Qualifikationen, versucht hatte, einen Job zu bekommen. Relativ erfolglos. Daraufhin hatte sie anderthalb Jahre ohne Entgelt für ihren Professor an der Kunstakademie gearbeitet – Examenskandidaten betreut, Aufsätze kopiert, Bibliographien zusammengestellt – und war schließlich mit einer Stelle in der Kulturbehörde der Region Kampanien entlohnt worden. Zunächst einen Monat lang Telefondienst, dann zeitlich befristeter Aufstieg in die Bibliothek, wo sie sämtliche Publikationen, Bücher und Zeitschriften neu zu katalogisieren hatte. Von dort aus hatte sie sich um eine Halbtagsstelle im Museo di Capodimonte beworben und drei Jahre lang die wochentags meist einsam vor sich hin brütenden Werke niederländischer Maler im ersten Obergeschoß des Museums bewacht, es sei denn, eine lärmende Schulklasse oder eine Gruppe von Touristen schreckten sie auf – die Bilder wie auch die Angestellten. Als dann vor einem Jahr die Stelle in der Dokumentation Kunstdiebstahl ausgeschrieben wurde, war Livia mit fliegenden Fahnen aus dem Museum geflohen – hinter den Computer. Noch immer schlichen sich die hallenden Schritte vereinzelter Museumsbesucher in Livias Träume, riesige, menschenleere Säle, die bis in die Unendlichkeit reichten, gesäumt von Menschengestalten vor düsterer Hinterwelt, die ungerührt, streng, ausgehungert nach menschlichem Kontakt dabei zusahen, wie Livia mit ihnen zu kommunizieren versuchte, bis ihre Sprechversuche in einem höllischen Schrei mündeten, von dem sie dann erwachte.
    Da ging es ihr in ihrem jetzigen Job besser: Sie hatte eine Kollegin, die hellgelb getünchten Wände schmückten ein Stadtplan von Neapel, ein schmuckloser Kalender und seit Anfang des Jahres auch eine wechselnde Auswahl ihrer eigenen Werke. Sogar der Computer reagierte auf Kommunikationsversuche – wenn auch in Grenzen. Sie arbeitete nur dreißig Stunden in der Woche, und es blieb ihr genug Zeit zum Malen. Vor allem in den ersten Wochen hatte Livia alle zeitraubenden Arbeiten wie Tippen, das Füttern der Datenbank, das Erstellen von Statistiken oder die Suche nach Abbildungen der gestohlenen Objekte in Bibliotheken und sonstigen Archiven übernommen. Seit zwei Monaten bereitete sie gemeinsam mit Rosaria eine Ausstellung über Neapels gestohlenes und wiederbeschafftes Kulturgut vor, die im Oktober eröffnet werden sollte. Das war interessant, aber immer wieder auch deprimierend. Es wäre Livia leichter gefallen, Typ, Farbe, Kennzeichen von gestohlenen Autos zu dokumentieren als den alarmierenden Schwund von Kunst und Kultur.
    »Sieht düster aus«, nickte Rosaria, nachdem sie die Statistik komplett aus gedruckt und durchgesehen hatten. Es wurde schlichtweg immer mehr gestohlen und immer weniger wiedergefunden. Zigmal schon hatten sie und Livia darüber diskutiert, was man unternehmen könnte, um den Kunstraub einzudämmen, unabhängig von den Fahndungserfolgen von Carabinieri und Kripo. Ihre Ideen reichten von einer Bürgerwehr bis zur Bewaffnung der Pfarrer, von einem Rund-um-die-Uhr-Wachdienst bis zur Evakuierung bestimmter Kunstwerke. Regelmäßig endeten diese Überlegungen mit der resignativen Einsicht in die gesamtgesellschaftlichen Zusammenhänge. Es wurde immer schlimmer, in der Tat.

5
    Nach dem Besuch im Tabakladen lief Marlen zunächst ziellos durch die Gassen, aufgewühlt, deprimiert, wütend. Hatte das lebendige Durcheinander in den Quartieri sie noch vor einer Stunde froh gestimmt, ging ihr die Enge jetzt unsäglich auf die Nerven – ein Wechselbad an Gefühlen. Kurz entschlossen kehrte sie um, zog Tennisschuhe und Shorts an. Die Villa Comunale, eine schmale Grünanlage, zwischen zwei vielspurigen Straßen gelegen, war wochentags, vor allem um diese Uhrzeit, wenig besucht. Ein junger Mann, der Mini-Autoscooter an Kinder vermietete, lag auf der Parkbank und schlief. Marlen joggte an dem leeren Brunnen mit vier steinernen Löwen vorbei, die vergeblich auf Wasser warteten, lief am stattlichen Bau des Aquariums entlang bis zum gußeisernen Pavillon, in dem früher einmal sonntags Musikkapellen gespielt hatten. Sie überquerte den

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