Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
beinhart, eiskalt und schießeisenbewehrt zuging.
Es gab Ausnahmen. Mit einer dieser Ausnahmen war Rosaria seit ein paar Monaten liiert, in ihren Augen der einzige akzeptable Carabiniere im ganzen Land und der erste Mann, den sie seit ihrer Scheidung im Bett akzeptiert hatte: Corrado. Corrado versorgte sie mit Rosen und dann und wann auch mit nützlichen Informationen. Er war Sizilianer und lauerte förmlich auf eine Versetzung nach Rom, konnte aber keine gewichtigen Referenzen vorweisen, so daß immer wieder jüngere, in seinen Augen dümmere, unqualifiziertere Kollegen vorgezogen wurden. Rosaria mußte ihn dann trösten, war aber eingestandenermaßen froh darüber, daß Corrado Neapel und damit auch ihr erhalten blieb.
Die andere Ausnahme war Livias und Rosarias Chef, Roberto Mazzacane, verantwortlich für die Museen und Kunstsammlungen Kampaniens. Als Chef war er diskret, humorvoll und demokratisch, als Mann unaufdringlich: keine Annäherungsversuche, kein Gewürz in der Gerüchteküche. Roberto stammte aus Capri, war Ende vierzig, eingeschriebener Sozialist und braver Familienvater. Die Töchter studierten in den USA, die Frau schien die meiste Zeit auf dem geerbten Familienbesitz in Anacapri zu verbringen. Roberto war selten im Büro, viel auf Geschäftsreisen. In Kunstkreisen hatte er sich außerdem als Initiator und Förderer einen Namen gemacht, einen Kunstpreis ins Leben gerufen, der alle zwei Jahre vergeben wurde, und im Raum Kampanien einige spektakuläre Ausstellungen initiiert.
Seit ein paar Monaten war Livia jedoch schlecht auf ihn zu sprechen. Robertos aktuelles Projekt war eine unterirdische Kunstausstellung mit Künstlern aus ganz Europa. Livia war in Neapel als Malerin nicht unbekannt, auch wenn sich ihr Bekanntheitsgrad nicht in Millionen Lire oder in Preisen abmessen ließ. Das Männchen- bzw. Frauchenmachen im Umfeld von Vernissagen, das Abklappern der Galerien, das künstliche Kluggeschnacke mit Kunstkritikern lagen ihr nicht. Groß herauszukommen war eine Frage des Marktes und der richtigen Beziehungen. Begabung, Talent, künstlerisches Genie spielten eine untergeordnete Rolle und wurden meistens überschätzt. In Neapel hatte Livia – ohne irgendwelche Leute zu bemühen, denen sie dann einen Dank schuldig wäre – zwei kleine Ausstellungen gehabt, gut besucht, doch leider von Leuten, die zwar im Grunde ihres Herzens die richtigen waren, aber kein Geld für Bilder übrig hatten. Meistens malte sie, wen und wozu sie Lust hatte, auch Auftragsarbeiten für Freunde oder deren Bekannte, und mit dieser Regelung war sie durchaus zufrieden – ihren Lebensunterhalt verdiente sie in der Dokumentation Kunstdiebstahl, ohne wirklich persönlich involviert zu sein. Hauptsache, sie hatte sich einen Freiraum geschaffen, der gegen Korruption gefeit war und ihr immer wieder tiefe innere Befriedigung verschaffte.
Was für Livia Freiraum war, war für ihren Chef Roberto Freizeit – ein beträchtlicher Unterschied, was die Wertschätzung anbelangte. Obwohl Roberto wußte, daß seine Untergebene Livia Picone in ihrer freien Zeit malte, was nicht hieß, daß sie Freizeitmalerin war, hatte er sie nicht aufgefordert, sich an der Ausstellung zu beteiligen. Was ihr immer wieder bitter auf stieß. Künstler aus allen möglichen Ländern Europas, die zum Teil noch nie einen Fuß nach Neapel gesetzt, noch nie einen Vulkan bestiegen, kein einziges Erdbeben erlebt hatten, nahmen an der Ausstellung teil, hatten Bilder, Skulpturen, Collagen geschickt, einige von ihnen würden sogar zur Vernissage anreisen. Und von den Neapolitanern, die Tag für Tag hier lebten, zu deren Füßen, oder besser: unter deren Fußsohlen die Ausstellung stattfand, war nur ein einziger Künstler eingeladen worden. Offizielle Begründung Robertos: das vereinte Europa stehe vor der Tür. Liegt uns zu Füßen, hatte Livia gespottet. Wofür das arme, zur Formel verkommene Europa herhalten muß …
Andererseits hatte sie es wiederum Roberto zu verdanken, daß ihr Arbeitsplatz überhaupt existierte. Im Gegensatz zu Corrado verfügte Roberto über ausgezeichnete Kontakte, dank derer es ihm unter anderem auch gelungen war, die Datenbank Kunstraub Kampanien vor zwei Jahren aus dem Zuständigkeitsbereich der Carabinieri auszugliedern, der Kulturbehörde zuzuordnen und damit eine neue Stelle zu schaffen, die Livia ergattert hatte. Man munkelte, er selbst wiederum habe seine Position den guten Beziehungen zu einem Mann zu verdanken, der seit zwanzig
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