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Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)

Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)

Titel: Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Krohn
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fühlte sich am nächsten Morgen noch immer ein wenig benommen, oder übernommen, zuviel des Guten und des weniger Guten gleich am ersten Tag: der Einbruch im Tabakladen, die heroinsüchtige Anna, der Besuch bei Livias Großeltern, das üppige Mahl, die kaum weniger üppigen Berichte der nonna , der überfüllte Bus, schließlich dieser Schuhladen. Aus Erfahrung wußte sie, daß sie an Ankunftstagen und kurz vor der Abreise besser keine Schuhe kaufte, die sich später als zu eng, zu weit, zu hoch, zu flach, zu altmodisch oder überkandidelt entpuppten. Vielleicht hatte sie die dunkelgrünen Schnürstiefel in Trance erstanden. Sie waren die übliche halbe Nummer zu eng, ihr taten die Füße weh, sie würde die Schuhe, wie bereits viele Vorgänger, zu Hause an Luzie abtreten.
    Sie wählte einen Tisch am Fenster und setzte sich so, daß sie auch das Café im Blickfeld hatte: das gute alte Gambrinus, wie es leibte und lebte. Derselbe mürrisch aussehende Kellner, dasselbe Interieur. Spiegel, die bis unter die Decke reichten. Gemischtes Publikum. Eine Gruppe von Geschäftsleuten hatte sich zum Aperitif eingefunden. Die Männer standen im Halbkreis am Tresen, gestikulierten, schwafelten, lachten. Daneben zwei schlicht und exklusiv gekleidete Damen um die Fünfzig, hochglänzende Einkaufstüten zu Füßen, als wären es die respektiven Schoßhündchen. Jede von ihnen verspeiste eine Sfogliatella. Die in tausend Teilchen zersplitternde Hülle der Quarktasche verschwand spurlos in den Mündern, Krümel, die sich im Mundwinkel festgesetzt hatten, wurden diskret mit der Zunge weggeschleckt, sogar der Lippenstift blieb intakt. Marlen beobachtete, wie der Österreicher, der seit zig Jahren auf dem Bürgersteig gegenüber vom Gambrinus hockte und die Hand aufhielt, der Kassiererin soeben eine beträchtliche Anzahl Hundertlirestücke in die Hand zählte, dann zum Tresen schlurfte und den mit einem Trinkgeld beschwerten Kassenbon über die Marmorplatte schob. Ohne die Miene zu verziehen, ließ der Barmann das Geldstück hinter dem Tresen verschwinden, ergriff dann ein Glas und drückte es gegen die umgekehrt in einer Halterung steckende Flasche. Prego, una grappa, un espresso .
    Alkohol auf Alkohol – sie bestellte ein Glas Weißwein, das würde sie wieder auf die Beine bringen. Livia und sie hatten zu Wein und Grappa bis spät in die Nacht hinein geklönt – der wie immer vergebliche Versuch, Zeit zu raffen und doch lückenlos zu erzählen, was in den vergangenen zwei Jahren geschehen und nicht geschehen war: die Trennung von Fritz, nachdem Luzie, der jahrelange Mittelpunkt ihrer Auseinandersetzungen, au gezogen war; Livias wechselnde Liebschaften und zeitweilige Abstinenzen; Marlens alter und Livias neuer Job; das Leben hier, das Leben dort, Einzelheiten, Widrigkeiten, unerwartete Begegnungen.
    Am anderen Morgen war Marlen nur schwer aus dem Bett gekommen und erst nach einer Kanne Espresso zur Redaktion des Mattino gefahren, um sich im Archiv Material über die quattro giornate zu besorgen. Die karge Ausbeute bestand aus drei nicht sehr ausführlichen Pflichtartikeln zum Jahrestag der Befreiung Ende September, Sekundärmaterial, vorverdaute Informationen. Vermutlich wurden Jahr für Jahr die Neulinge in der Redaktion mit der Aufgabe betraut, die alten Artikel umzuschreiben.
    Sie legte die Fotokopien aus der Hand, lehnte sich zurück, ließ den Blick schweifen. An der Wand gegenüber hingen Veranstaltungshinweise. Napoli Sotterranea – Arte Sovversiva stand auf einem der Plakate, unterirdisches Neapel, untergründige Kunst, wie sie es sich übersetzte. Hatte nicht Livias Großmutter gestern von unterirdischen Räumen gesprochen und dabei das Bild eines Emmentalers gebraucht? Marlen kniff die Augen zusammen. Aus vier Metern Entfernung konnte sie das Kleingedruckte nicht entziffern. Sie stand auf, sah sich das Plakat aus der Nähe an: es zeigte eine Gruppe blaßkolorierter Häuser, von denen aus Gänge senkrecht in die Erde führten und sich dort verzweigten wie die Behausungen einer Maulwurffamilie. Es handelte sich, wie sie nun las, um eine Führung durch die Stadt unter der Stadt. Außerdem wurde eine Ausstellung angekündigt: Skulpturen, Gemälde, Fotos, Collagen internationaler Künstler. Das war also die Ausstellung, über die Livia, die verschmähte Künstlerin, am Abend zuvor so geschimpft hatte. Als Organisatoren zeichneten ein Verein namens LAES, die Kulturbehörde und der Fremdenverkehrsverein. Marlen rechnete nach. War

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