Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
und auf diese Weise teilzuhaben an einem Leben, aus dem man als Mutter schon lange ausgeschlossen ist, und dies um so mehr, je verzweifelter man versucht, sich nicht ausschließen zu lassen.
Ihr Sohn wohne schon lange nicht mehr zu Hause, sagte Signora delle Donne wie zur Erklärung, während sie durch einen halbdunklen Korridor mit mehreren Türen gingen, die jedoch alle geschlossen waren. Sie betraten das Wohnzimmer, Marlen wurde aufgefordert, sich doch zu setzen, und die Mutter Salvatores verschwand in der Küche, um einen Espresso zu kochen. In der Ecke lief lautlos der Fernseher, irgendeine Quizsendung. Das Zimmer war pikobello sauber, als würde die Frau jeden Tag Unmengen an Zeit mit dem Polieren und Zurechtrücken der benutzten Gegenstände verbringen, um jede Spur von Leben sofort zu tilgen.
Marlen hatte das Malaparte-Buch, das sie nach der ersten Begegnung mit Salvatore gekauft hatte, sichtbar auf den Tisch gelegt. Sie wollte Informationen über Salvatore nicht mit allzu langen Ohren bezahlen und gab sich maximal eine halbe Stunde für eine Plauderei über Gott und die Welt.
Doch die Signora kam von selbst auf ihren jüngeren Sohn zu sprechen. »Ab und zu rufen Leute an, die Geld von ihm wollen, die sind bei mir aber an der falschen Adresse. Zuerst habe ich gedacht, auch Sie sind von der Sorte, man kann nicht vorsichtig genug sein, sage ich immer, es läuft zuviel Pack herum heutzutage, ich hab ihm immer gesagt, gib nicht jedem deine Nummer, aber schon früher hat er sie an Hinz und Kunz weitergegeben.« Sie zog die Mundwinkel nach unten. »Und heute macht er es genauso: Wenn er sich jemanden vom Leibe halten will, gibt er diese Nummer an.« Ein nach außen bedauernder, insgeheim triumphierender Blick zu Marlen, die so tat, als hätte sie den Seitenhieb nicht bemerkt. »Was haben Sie gesagt, wo haben Sie sich kennengelernt?«
Marlen war auf die Frage vorbereitet und hatte die Capri-Variante zurechtgelegt, eine zufällige Begegnung vor der Villa von Malaparte auf dem östlichen Rundweg in Capri, ein sonniger Märzmorgen, ein längeres Gespräch mit Blick auf Haus und Wasser, woraufhin er ihr besagtes Buch geliehen habe, das er dabei hatte, dann die Fahrt mit der Caremar zurück nach Neapel, ein gemeinsames Abendessen.
Die Mutter Salvatores stürzte sich wie verhungert auf jede noch so kleine Information über ihren Sohn, schmeckte sie ab, drehte sie im Munde herum. Capri, dort sei er schon immer gern hingefahren, sich einen schönen Tag machen in der Sonne mit Blick aufs Meer. Plötzlich keifte sie: »Ja, das kann er, das sieht ihm ähnlich, statt etwas Vernünftiges anzufangen mit seiner Zeit, Bücher lesen, Fotos machen, statt einen ordentlichen Beruf zu erlernen.«
Zum Essen komme er nie, weder zum Abendessen noch sonntags wie andere Söhne anderer Mütter, nur einmal im Jahr würde er sie ausführen, am Muttertag, das wäre ja noch schöner. Gekränkte Mutterliebe kroch über die allzu glatten Gesichtszüge, die Augen der Frau wurden, je länger sie zürnte, immer schmaler. Nie lasse er sich blicken. Der verschwundene Sohn? Ein verlorener Sohn! Ihr Ältester, wenn der in Neapel wäre, würde er sie zu sich nehmen, die Mutter gehe ihm über alles. Hingegen Salvatore.
Schon als Junge habe er die Schule geschwänzt und in der Gegend herumgelungert, damals, als sie noch in den Quartieri wohnten, weggelaufen sei er, der undankbare Kerl. »Ausgenutzt hat er uns. Uns, seine Eltern!« Das Jammern steigerte sich ins Unerträgliche. »Wo wir ihm alles geopfert haben, tanti sacrifici! «
Diese Mütter mit ihren ungeheuren Opfern, dachte Marlen halb amüsiert, halb entnervt, für die sie bis an ihr Lebensende Dank erwarten, es ist das reinste Schmalztopf auslecken. Jedenfalls wurde ihr Salvatore mit jeder Anklage seiner Mutter sympathischer.
»Dabei war er so begabt«, setzte die Mutter erneut an, »er hätte sich nur ein wenig auf den Hosenboden setzen müssen, aber dafür war sich der Herr Sohn zu fein, auf Leistung würde er scheißen, hat er gesagt, Phantasie an die Macht und solche Sprüche, die Schule abbrechen, reisen, unnützes Zeug auf der Straße verkaufen, fotografieren, Theater spielen, aber dann zu den Eltern kommen, wenn das Geld futsch ist! Mein Mann, Gott habe ihn selig«, sie bekreuzigte sich flüchtig, »hat ihm immer wieder Geld zugesteckt, doch wer weiß, was er damit angefangen hat, Großzügigkeit, hat er es genannt, daß ich nicht lache, rufen vielleicht deshalb immer wieder Leute an,
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