Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
Donne.« Er zündete sich eine neue Zigarette an, lächelte. »Wird schon seinen Grund haben, daß ich den Namen vergessen habe. Und das hier ist die Telefonnummer, unter der er damals zu erreichen war. Vielleicht haben Sie ja Glück, und es ist die Nummer der Eltern, und er wohnt noch immer dort.«
Marlen bedankte sich, legte zwanzigtausend Lire auf den Schreibtisch und sah Vittorio herausfordernd an. »Reicht das?«
Vittorio grinste sie von der Seite an. »Da haben Sie sogar noch eine Frage gut.«
»Um so besser«, nickte sie zufrieden. »Wer weiß, wozu das noch gut sein kann.«
»Vielleicht haben Sie irgendwann mal Lust, an einer unserer Führungen teilzunehmen«, rief Carmine ihr hinterher. Und als er ihren skeptischen Blick sah: »Es liegt ja nicht jedesmal ein Toter im Weg.«
15
Marlen fand es bereits bedenklich, einem Mann hinterherzutelefonieren, sich aber an dessen Mutter heranzumachen, brach alle Rekorde des Zumutbaren. Dennoch war es die einzige Möglichkeit, diesen Salvatore aufzuspüren.
Delle Donne stand auf einem blankpolierten Schild an der Tür, die sich nach dem dritten Klingeln eine Handbreit auftat. Der Kopf einer ungefähr sechzigjährigen Frau erschien in der Öffnung, blondiertes Haar mit dunklem Ansatz, sorgfältig frisiert, rundes, beinahe faltenloses Gesicht, volle Lippen. Die Frau wirkt verkniffen wie eine, die zusieht, daß ihr nichts abhanden kommt, obwohl ihr schon einiges abhanden gekommen ist, dachte Marlen.
»Was gibt s?« Eine nicht gerade erfreute Frage, dazu mißtrauisch musternde Augen oberhalb der Türkette. Es war der Frau anzusehen, daß sie die Tür am liebsten sofort zugemacht hätte, gleichzeitig aber auch neugierig war.
Marlen setzte ihr gewinnendstes Lächeln auf, nannte ihren Namen. Sie hätten vor zwei Stunden miteinander telefoniert, sie sei, wie gesagt, eine Freundin von Salvatore, und wolle ihm. besagtes Buch zurückgeben, das sie am Telefon erwähnt habe.
Die Geschichte ging Marlen jetzt ebenso flott über die Lippen, wie sie zwei Stunden zuvor ins Stottern gekommen war, als sich am anderen Ende der Leitung tatsächlich jemand meldete. Nicht Salvatore, wie sie beinahe erleichtert festgestellt hatte – was hätte sie sagen sollen, ciao, ich wollte mal hören, wie’s so geht, hast du heute abend schon was vor, übrigens, hast du den Toten zufällig gekannt oder gar auf dem Gewissen? Das unpersönliche, frostige pronto der Signora delle Donne hingegen hatte Marlen beruhigt. Sie hatte nach Salvatore gefragt und ein mürrisches non c’è zur Antwort erhalten, ist nicht da, und auf die Frage, wann sie ihn erreichen könne, er sei praktisch nie da. Woraufhin die Frau schwieg, als habe sie damit alles zum Thema gesagt. Marlen hatte gestottert, sie sei eine alte Freundin und zu Besuch in Neapel und würde ihm gern – was konnte sie ihm zurückgeben, hatte sie überlegt, und da war ihr etwas Passendes eingefallen, es lag auf der Hand und das Buch vor ihr auf dem Tisch: ein Buch von Malaparte, das er ihr vor einiger Zeit geliehen habe. Sie würde demnächst zurück nach Deutschland fahren, und der Post könne man ja nicht trauen.
Vielleicht war es allein dieser Zusatz, der die Mutter dazu bewogen hatte, Marlen Gehör und eine minimale Portion Vertrauen zu schenken: Der Post könne man in der Tat nicht trauen, ihr ältester Sohn habe ihr aus Deutschland zu Weihnachten ein Päckchen geschickt mit Fotos von den Enkeln und einem Stollen und einem Halstuch, »und wissen Sie, wann das Päckchen gekommen ist, ich sage es Ihnen, vor einer Woche, und bis auf die Fotos und den Brief war nichts mehr drin, letztens stand was in der Zeitung über Hunderte von Postsäcken auf einer Müllhalde, und mit Päckchen geht es noch wüster zu, bringen Sie es also ruhig vorbei, ich bin den ganzen Tag zu Hause.«
So kam es, daß Marlen am Samstagnachmittag in einem der vielstöckigen Bauten in einer Seitenstraße des Viale Kennedy vor der einen Spalt weit geöffneten Wohnungstür der Familie delle Donne stand und gute Miene machte, zu welchem Spiel auch immer. Die Tür ging zu, dann, von der Sicherheitskette befreit, gänzlich auf.
»Kommen Sie herein. Aber Salvatore ist, wie gesagt, nicht da. Non c’è .«
Marlen, froh, nicht gleich an der Tür abgefertigt zu werden, dachte: die Neugier hat gesiegt, vielleicht zusammen mit diesem unverwüstlichen Anteil mütterlicher Lust, über den Sohn zu sprechen oder gar etwas über ihn in Erfahrung zu bringen, aus zweiter oder dritter Hand,
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