Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
befreundet war und einen Sohn hatte, der mittlerweile sechzehn, siebzehn sein mußte, nein, nein, nicht von Salvatore. »Eine engagierte Untergrundforscherin«, schloß er. »Sportlich, abenteuerlustig, fast draufgängerisch. Sie hat viele Leute immer wieder angestachelt, gute Ideen gehabt.«
»Und warum hat sie nicht weiter gemacht?«
»Sie war gelernte Restauratorin und wollte wieder in ihrem Beruf arbeiten«, hatte Carmine gesagt. »Es war ihr zuviel. Das Kind, die Arbeit bei uns, das Geldverdienen. Verständlich. Ich habe gleich drei von der Sorte.«
»Und eine Frau, die sich um Sie kümmert…«
»Irrtum. Meine Frau arbeitet genauso viel wie ich.«
Livia war mit ihren Recherchen zu den gestohlenen Kunstobjekten ein gutes Stück vorangekommen. Sie hatte ihre Kollegin Rosaria in die Sache eingeweiht, angefangen beim unterirdischen Toten und dem verschwundenen Salvatore bis zur Kalliope in Jeans Wohnung und der Vermutung, daß sich auch im Haus der Cacciapuoti einiges an gestohlenen Objekten befinde. Vermutlich war Umberto, der unterirdische Tote, in die internationale Kunstraubszene verwickelt, es fehlten bislang aber Beweise, und wenn man die gestohlenen Stücke beschlagnahmen ließ, würde alles auffliegen. Es war also Vorsicht geboten. Livia und Rosaria hatten beschlossen, auch Corrado einzuweihen, um an weitere Informationen heranzukommen, die die Ermittlungsstelle Kunstraub bei den Carabinieri unter Verschluß hielt: zum Beispiel die Protokolle der jeweiligen Diebstähle, Namen von Hausmeistern, Nachtwächtern, Angestellten, Verdächtigen, Vorbestraften und so weiter. Fall für Fall war dort alles schön ordentlich gespeichert, und dann und wann paßten ein paar der Mosaiksteinchen zusammen, irgendein Fund wurde irgendeiner Verlustmeldung zugeordnet, jemand wurde verhaftet, spuckte ein, zwei Namen aus. Und in dem Zusammenhang sollte Corrado prüfen, ob der Zentralrechner der Carabinieri auch auf die Namen di Napoli, Gentile, Cacciapuoti, delle Donne reagierte. Rosaria hatte versprochen, sich darum zu kümmern.
Doch der Computer war nach wie vor kein assoziierendes Wesen, auch wenn er mit Hilfe spezieller Programme bestimmte Querverbindungen herzustellen vermochte, Stichwortlisten führte und regelmäßig alle Eingaben daraufhin durchging. Livia war davon überzeugt, daß Zufälle die Welt regierten und daß niemand in der Ermittlungsstelle querdachte, Einzelheiten verglich oder zwei Engel aus der Kirche wiedererkennen würde, in der er als Kind allsonntäglich hatte beichten müssen. Sie wollte jetzt alles ganz genau wissen. Unter welchen Umständen und wann genau waren die Statuen aus Portici und die beiden Engel aus der Kirche gestohlen worden? Wer hatte damals in der Villa Aufsicht gehabt, wer hatte den Diebstahl entdeckt und gemeldet, welche Spuren waren verfolgt, welche Verdächtigten befragt worden? Vielleicht hatten die Kriminalpolizei und die Carabinieri das alles schon abgecheckt – und wenn schon, man konnte die Sache neu überdenken. Wer auch immer Umberto Cacciapuoti umgebracht hatte, war ihr dabei mittlerweile ziemlich egal.
Am Abend stellten die beiden Freundinnen, gespeist von Informationen und Spekulationen und Marlens Gespräch mit Dante, erneut die wildesten Szenarien auf. Marlen fand es, animiert durch das Gespräch mit Dante, durchaus denkbar, daß die betrogenen Ehemänner der Frauen, mit denen Umberto seine Spielchen trieb und sie mit ihm, sich gemeinschaftlich gerächt, Umberto unter die Erde gelockt und dort getötet hatten. Ein kollektiver Rachefeldzug. Ausführung der folgerichtigsten Phantasien eines gehörnten Süditalieners, wie er im Buche stand. Und Salvatore, der die Leidenschaften und Liebschaften Umbertos kannte und sich dabei an der eigenen Nase gepackt fühlte, war durchgedreht und abgehauen, weil er befürchtete, ihm würde etwas ähnliches widerfahren.
»Angst vor der späten Rache von Fritz«, folgerte Livia. »Dabei dachte ich, die Zeit der Solidaritäten sei vorbei.«
»Die der Männer kommt erst noch«, erwiderte Marlen.
Livia bevorzugte eine andere Mordvariante. Danach hatten Fiorilla und Agnese den armen Umberto um die Ecke gebracht, weil sie eine finanzielle Beteiligung an seinen schmutzigen Kunstgeschäften erpressen wollten, denen sie auf die Spur gekommen waren.
»Die lieben Frauen gegen den bösen Mann, der an allen Ecken und Enden betrügt, hehlt, stiehlt? Aber warum hätten sie ihn gleich umbringen sollen?« Marlen fand den Vorschlag unlogisch.
Weitere Kostenlose Bücher