Der Tote vom Kliff
Bratkartoffeln und ähnliche Gerichte warb, von denen der
Tourist annahm, dass sie typisch für Sylt wären.
Sie streiften während des Essens und beim
anschließenden Bier, das sie in einer Kneipe ein paar Häuser weiter tranken,
viele allgemeine Themen, ohne noch einmal auf den Mordfall zurückzukommen.
Lüder fiel erneut auf, dass Große Jäger auch nach mehreren Bier konsequent beim
Sie blieb, während er den Oberkommissar duzte.
DREI
Es ist zutreffend, wenn man behauptet, dass auf Inseln
ein anderer Lebensrhythmus herrscht. Das empfand auch Lüder so. Er war um halb
sieben wach geworden, hatte ausgiebig geduscht und war noch vor dem Frühstück
die wenigen Schritte zur Strandpromenade gegangen. Als er an Große Jägers
Zimmer vorbeikam, bedauerte er die direkten Nachbarn des Oberkommissars. Wer
nicht über die Segnungen eines tiefen Schlafs verfügte, hatte sicher unter den
sägenden Schnarchtönen zu leiden gehabt.
Lüder fühlte sich trotz der inneren Anspannung
wunderbar erholt und ausgeruht. Im Unterschied zur Geschäftigkeit in den
Großstädten schien Westerland noch in der Nachtruhe zu verharren. Es gab keine
Autokolonnen mit Menschen, die den Weg zur Arbeit antreten, keine Müll- und
Lieferfahrzeuge, ja nicht einmal Schulkinder auf dem Weg zum Unterricht traf
man. Der Ort schien zu dieser Stunde wie ausgestorben. Zwei einsame Jogger
begegneten ihm am Strand. Wer hier als Gast weilte, hatte seinen Tagesbeginn
auf die späteren Stunden verschoben. Schade, dachte Lüder. Der hohe Himmel und
das unvergleichlich klare Licht des Nordens, das immer schon die Malergrößen
angezogen und fasziniert hatte, in Verbindung mit der reinen Luft ließen ihn
die kleinen Sorgen des Alltags für einen Moment vergessen. Er nahm sich vor,
irgendwann mit Margit ein paar Tage hier auszuspannen und die Kinder seinen
Eltern in Kellinghusen zu überlassen. Irgendwann, dachte er bitter. Warum
neigen wir Menschen immer dazu, alles auf »irgendwann« zu verschieben. Er ging
noch ein Stück auf der Strandpromenade entlang und kehrte dann ins Hotel Vier
Jahreszeiten zurück.
Im Frühstücksraum hatten sich um diese Zeit nur
wenige, meist ältere Gäste eingefunden, und Lüder wurde von einer gut
aufgelegten jungen Frau nach Extrawünschen zum Frühstück gefragt.
Nachdem er sich am reichhaltigen Büfett ausgiebig
versorgt und der herrlich duftende Kaffee seine positive Grundstimmung noch
verstärkt hatte, warf er einen Blick in die ausliegende Morgenzeitung. Immer
noch beherrschte der Gruenzweig-Mord die Titelseite.
Zwischen zwei Bissen erstarrte Lüder und vergaß,
weiterzukauen, als er las, dass man den Mann gefunden hatte, dessen Bild
gestern im Fernsehen veröffentlicht worden war. Nicht nur das – der Gesuchte
hatte auch einen Selbstmordversuch unternommen und lag abgeschirmt auf der
Intensivstation des Friedrich-Ebert-Krankenhauses in Neumünster. Es handelte
sich um den achtundvierzigjährigen Hubert F., verheiratet, zwei Kinder,
wohnhaft in Neumünster und in einem dortigen Unternehmen beschäftigt. Mehr
wusste die Sylter Rundschau nicht zu berichten, zumal, so der ergänzende
Hinweis in dem Artikel, die Ermittlungsbehörden einen totalen Nachrichtenstopp
verhängt hatten.
Lüder legte die Zeitung beiseite, kramte in der Tasche
nach seinem Handy, stellte fest, dass er es auf seinem Zimmer hatte liegen
lassen, schlang das angebissene halbe Brötchen hinunter und verließ mit
schnellen Schritten den Raum.
»Ist irgendetwas nicht in Ordnung?«, fragte die
Bedienung mit besorgter Stimme.
Lüder versicherte, dass es keine Beanstandungen gebe,
und klopfte heftig gegen Große Jägers Zimmertür. Es dauerte eine Weile, bis
geöffnet wurde und der nasse Kopf des Oberkommissars im Türspalt erschien.
»Was ‘n los mitten in der Nacht?«, brummte er.
»Der Mann vom Bootssteg ist gefunden«, sagte Lüder.
»Was?« Große Jäger war mit einem Schlag hellwach.
Lüder berichtete mit wenigen Worten, was er wusste.
»Ich bin in fünf Minuten bei Ihnen«, sagte Große
Jäger.
Er schaffte es in vier.
Während Lüder Kontakt zum Landeskriminalamt aufnahm,
versuchte der Oberkommissar die Husumer Polizeidirektion zu erreichen.
Christoph Johannes war schon in seinem Büro in der Poggenburgstraße. Er hatte
auch von der Entwicklung gehört, verfügte allerdings über keine weitergehenden
Informationen.
Kriminaldirektor Nathusius und Kriminaloberrat
Gärtner, der Leiter der Sonderkommission, waren für Lüder nicht zu sprechen,
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