Der Tote vom Kliff
da
sie zu einer Dienstbesprechung mit der Staatsanwaltschaft waren. Lüder
erreichte Hauptkommissar Helge Thiel, einen Mitarbeiter Gärtners, der ebenfalls
in der Sonderkommission mitwirkte.
Thiel wollte in Kürze nach Neumünster und dort die
weiteren Ermittlungen vornehmen, insbesondere im familiären Umfeld von Hubert
F., der mit vollem Namen Fixemer hieß, wie Lüder erfuhr. Der Hauptkommissar
hatte keine Einwände, dass sich Lüder ihm anschließen wollte.
»Helge Thiel?«, fragte Große Jäger und zog die Stirn
kraus. »Den kenne ich. Der hat einmal Christoph und mich beschattet, als wir
einem Ring von Kredithaien auf der Spur waren. Der Kollege Thiel war maßgeblich
beteiligt, als wir einen russischen Auftragskiller in einem Hotel bei Quickborn
dingfest gemacht haben. Dabei hat es eine prächtige Schießerei gegeben.« Der
Oberkommissar rieb sich dabei die Hände.
»Wir müssen uns umgehend auf den Weg nach Neumünster
machen«, sagte Lüder. Große Jäger brummte missmutig, schaffte es aber doch, in
aller Eile zuvor in den Frühstücksraum zu stürmen, seinen Kaffee brühheiß
hinunterzustürzen und sich vor den großen Augen der Bedienung zwei Brötchen auf
die Faust zu schmieren, die er mitnahm.
Auf der Fahrt unterrichteten sie Hauptkommissar
Paulsen in Westerland von ihrer überstürzten Abreise. Danach versuchte Lüder,
die Kriminaltechnik in Kiel zu erreichen. Es dauerte eine Weile, bis er Frau
Dr. Braun am Apparat hatte.
»Wieso sind Sie jetzt der Dritte, dem ich das
auseinandersetzen muss?«, beschwerte sich die Wissenschaftlerin. »Wir haben
einen Kurzbericht zu diesem Fall verfasst und in den zuständigen Verteiler
gegeben.«
»Ihre Arbeit in Ehren, aber hier geht es nicht um
bürokratische Formalismen«, schnauzte Lüder sie an. Deutlich war durch die
Leitung zu vernehmen, dass die Kielerin daran schluckte.
»Wenn wir jedem individuelle Auskünfte erteilen,
schaffen wir unsere Arbeit erst recht nicht«, klagte sie. »Niemand bedenkt,
dass immer mehr auf uns zukommt. Die Anforderungen wachsen stetig, aber am
qualifizierten Personal wird gespart.«
»Das ist bei uns nicht anders«, erwiderte Lüder
scharf.
»Liebe Frau Dr. Braun, hier spricht Große Jäger aus
Husum.« Der Oberkommissar hatte sich eingemischt, und es gelang ihm, seine
Worte einem Säuseln gleich zu formulieren. »Es ist eine Notsituation. Nur Sie
können uns weiterhelfen. Wir sind seit gestern ohne Unterbrechung unterwegs.
Wir haben die ganze Nacht über kein Auge zugemacht, sondern durchgerackert.
Jetzt sitzen wir im Auto, um zum nächsten Verhör zu fahren. Haben Sie ein wenig
Mitleid mit uns. Ich kann jetzt ermessen, wie es Ihnen und Ihren Mitarbeitern
ergehen muss. Sie sind sicher immer so gestresst wie wir jetzt.«
Man hörte ein Seufzen. »Dann verstehen Sie vielleicht,
welchen Belastungen wir ausgesetzt sind. Ständig.« Die Stimme aus Kiel klang
schon ein wenig versöhnlicher. »Wir haben die Schnittkanten der beiden Enden
des Seils, das Sie auf dem Segelschiff auf Nordstrand sichergestellt haben,
unter dem Elektronenmikroskop mit dem Seil verglichen, das mit den
Champagnerflaschen um den Hals des Mordopfers geknüpft war. Mit hoher
Wahrscheinlichkeit ist das Tatwerkzeug das passende Mittelstück, das aus dem
anderen Seil herausgeschnitten wurde.«
»Ohne Sie würden wir weiter dumm durch die Gegend
irren«, bedankte sich Große Jäger und legte auf. Dann strahlte er Lüder an.
»Das habe ich von Christoph gelernt. Der geht auch immer so mit Dr. Braun um und
war bisher stets erfolgreich.«
Lüder lächelte. »Schön. Außerdem hätten wir damit den
Beweis, dass der Mörder oder zumindest ein an der Tat Beteiligter das Seil von
Oke Petersens Motorsegler gestohlen hat, als dies am Anleger in Rantum lag. Und
dort hat sich Hubert Fixemer nach Zeugenaussagen aufgehalten. In Verbindung mit
seinem Selbstmordversuch sind das starke Indizien, die im ersten Augenschein
gegen den Mann sprechen. Was haben wir über ihn erfahren können?«
»Ich frage nach«, versprach Große Jäger und führte
mehrere Telefonate mit seiner Husumer Dienststelle. Zwischendurch fluchte er
unbotmäßig.
»Was ist?«, fragte Lüder.
»Das ist Mist, wenn das Kind nicht da ist«, erklärte
der Oberkommissar.
»Welches Kind?«
»Mommsen, unsere Nachwuchskraft. Der ist noch sehr
jung und trotzdem auf der Hochschule der Polizei in Münster.«
»Wie jung? Ich meine, Kommissar Mommsen ist schon eine
ganze Weile bei der Kripo.«
Große Jäger
Weitere Kostenlose Bücher