Der Tote vom Kliff
das Hermelincape.«
»Wenn sich niemand dafür findet, melde ich Ansprüche
an«, sagte Große Jäger und grinste.
»Darin dürftest du aber sehr albern wirken.« Lüder
lachte.
Große Jäger bohrte demonstrativ mit dem Zeigefinger in
dem Schussloch in seiner abgewetzten Lederweste. »Ich könnte dies hier aber mit
dem Cape verbergen.«
»Das wäre schade«, erwiderte Lüder. »Im Wilden Westen
haben die Revolverhelden Kerben in den Revolver geschnitzt …«
»… und in Nordfriesland tragen Oberkommissare zur
Abschreckung Schusslöcher in der Kleidung.«
»Ich würde einen roten Rand herumsticken, damit es
jedem Bösewicht von Weitem auffällt«, lästerte Lüder.
Große Jäger sah aus dem Fenster. »Wieder zur
Sansibar?«, fragte er.
Lüder schüttelte den Kopf.
»Zum Anleger nach Rantum.« Es war eine Feststellung.
Obwohl sich viele Gäste auf der Insel aufhielten, lag
der Anleger verlassen. Auf keinem der Boote war jemand anzutreffen. Eine
Schranke versperrte den Zugang zum Steg. Auf der Deichkrone, auf der ein Schild
den Wanderweg nach Keitum auswies, stand ein Schaukasten, in dem ein großes
Plakat mit Erklärungen und Abbildungen einheimischer Vögel hing. Lüder zeigte
auf einen einsamen Holzpfosten nebenan. »Das ist deutsch«, sagte er und Große
Jäger nickte, als er das Schild las. Dort stand, dass es sich um den Landesschutzdeich
handelte. Dann folgte eine Aufzählung, was alles verboten war. Neben zwei
weiteren am Pfosten angebrachten Schildern erregte ein in einer Klarsichtfolie
steckender Zettel ihre Aufmerksamkeit.
»Bin im Hafenkiosk – Onno«, stand dort in leicht
krakeliger Schrift.
Lüder sah sich um. Der unbefestigte, mit Schlaglöchern
übersäte Platz wurde am anderen Ende durch einen windschiefen Schuppen
begrenzt, an dem eine Veranda im Westernstil angebracht war. An der Wand
prangte ein Schild »Hafenkiosk«, während ein gespanntes Plakat aus Tuch
verriet, dass es hier eine Räucherei und einen Terrassenimbiss gab.
Gleich an der Tür wäre Große Jäger fast mit einer
jungen Frau zusammengestoßen, die ein Tablett mit Gläsern balancierte.
»Hups«, sagte sie. »Entschuldigung.«
»Trifft mich im gleichen Maße«, erwiderte der
Oberkommissar. »Wer ist Onno?«
Sie nickte im Vorbeilaufen mit dem Kopf Richtung
Tresen. »Der mit dem Rollkragenpullover und der Pfeife.«
Die Beamten gingen auf die drei Männer zu, die sich
angeregt auf Platt unterhielten.
»Sind Sie Onno?«, fragte Große Jäger, und Lüder
ergänzte: »Entschuldigung, wir haben Ihre Nachricht am Pfahl gefunden. Dort
stand kein Nachname.«
Der Mann zog noch einmal an seiner Pfeife mit dem
zerbissenen Mundstück, musterte die beiden Polizisten aus seinen meeresblauen
Augen und nickte bedächtig.
»Tjä. Ich bin Onno. Einfach nur Onno.«
»Wir suchen das Boot von Konsul Karl-Friedrich
Hundegger.«
Onno zog erneut an der Pfeife, bevor er antwortete und
dabei das Mundstück mit den Vorderzähnen festhielt.
»Ein Konsul segelt nicht. Hier gibt’s nur
Segelkameraden. Wie soll denn das Boot heißen?«
»Das wissen wir nicht. Der Segelkamerad heißt
Karl-Friedrich Hundegger.«
Onno nahm die Pfeife aus dem Mund, betrachtete sie
nachdenklich, nahm einen Schluck Bier, steckte die Pfeife zurück zwischen die
Zähne und sagte: »Kenn ich nich. Was soll denn das für ‘n Boot sein?«
»Auch das wissen wir nicht«, gestand Lüder.
Onno verzog das Gesicht zu einem Grinsen. »Ihr habt ja
reinweg von nix was ‘ne Ahnung.«
»Hör mal«, mischte sich Große Jäger ein. »Ihr Segler
seid fixe Jungs. Ihr findet mitten auf dem Atlantik, wo links und rechts, oben
und unten wochenlang nur Wasser ist, die kleenste Jolle.«
Onno nickte im Zeitlupentempo. »Tun wir.«
»Dann hilf zwei armen Landratten, den Karl-Friedrich
und sein Boot zu finden. Der ist hier auf Sylt.«
»Wenn das ‘nen großes ist, dann kann das nich hier bei
uns liegen. Wenn der ‘nen Kiel hat, müsst ihr mal in Hörnum gucken.«
»Danke«, sagte Große Jäger und tippte sich mit dem
Zeigefinger an die Stirn.
»Da nich für«, presste Onno zwischen Zähnen und Pfeife
hervor. »Noch was. Wenn ihr mal wieder nach ‘nen Boot sucht, schickt doch
welche von der Wasserpol. Die ham da mehr Ahnung von.«
Das »Tschüss« von Lüder und Große Jäger beantwortete
Onno mit einem Kopfnicken.
Die einzige Straße zur Südspitze führte durch eine
grandiose Dünenlandschaft. Die sanften Hügel sahen fast unwirklich aus. Wenn
nicht der Linienbus der Sylter
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