Der Tote vom Kliff
Reiz keinen Abbruch, dass sie
ungeschminkt war. Sie trug ein zu langes T-Shirt, das über den Po hinweg bis zu
den Oberschenkeln reichte. Ob es hingegen besonders attraktiv war, dass sie
ihre Oberweite nicht durch einen Büstenhalter bändigte, musste jeder für sich
entscheiden, beschloss Große Jäger, der sich nicht scheute, die junge Frau vom
Scheitel bis zur nackten Sohle ausgiebig zu mustern.
Hollergschwandtner sah ebenso verschlafen aus. Er
hatte sich eine helle Stoffhose übergestreift und trug ein Sweatshirt, das lose
über dem Gürtel hing. Er hatte sich in eine Ecke der Sitzgruppe gefläzt und
machte keine Anstalten, den Oberkommissar zu begrüßen. Große Jäger nahm in
einem einzeln stehenden Sessel Platz.
»Es geht um den Mord an Lew Gruenzweig.«
Das Paar wechselte einen raschen Blick und sah wieder
Große Jäger an.
»Wer von Ihnen beiden hat am Mordtag in Dr. Laipples
Ferienhaus angerufen?«
»Wo?«, fragte Sabine Johbst.
»Wollen Sie kurz ins Bad, um die Ohren zu spülen? Wir
sollten uns solche Mätzchen sparen«, knurrte der Oberkommissar.
»Ich nicht«, beeilte sich Hollergschwandtner zu
versichern, und bevor Sabine Johbst antworten konnte, hob Große Jäger die Hand.
»Machen wir es kurz. Es ist unumstößlich nachgewiesen,
dass dort angerufen wurde. Mit einem Handy.«
Frau Johbst wollte aufspringen. »Sie können selbst
sehen, mit wem ich telefoniert habe. Ich hole mein Gerät.«
»Da haben wir andere Möglichkeiten«, erklärte Große
Jäger. »Außerdem sprechen wir nicht über Ihr Telefon.«
»Etwas über meins?« Hollergschwandtner tat erstaunt
und sah seine Freundin an: »Habe ich dich unterschätzt, nur weil du blond bist?
Hast du mein Telefon benutzt?«
Sabine Johbst richtete sich in ihrem Sessel auf.
Vermutlich registrierte sie nicht, dass dabei das T-Shirt hochrutschte und
Große Jäger einen Blick auf das durchsichtige Höschen freigab.
»Sag mal, spinnst du? Was soll ich mit deinem blöden
Telefon?«
»Das würden wir auch gern wissen«, mischte sich Große
Jäger ein.
»Kennen Sie Katja von Mühl?« Nacheinander sah der
Oberkommissar die beiden an. Sie nickten. »Auch ihr Hermelincape?«
Sabine Johbst zuckte unbeteiligt mit den Schultern,
während Hollergschwandtner ein leises »Ja« hervorpresste.
»Sie haben uns noch nicht verraten, womit Sie Ihren
Lebensunterhalt bestreiten, Herr Hollergschwandtner. Irgendwo muss das Geld
doch herkommen, mit dem Sie Ihren teuren Wagen finanzieren.«
»Das würde ich auch gern wissen.« Sabine Johbst hatte
sich zu Hollergschwandtner umgedreht.
»Was soll das jetzt?«, fragte der in deutlich
aggressiverer Tonlage.
Große Jäger legte bedeutungsvoll die Fingerspitzen zu
einem Dach gegeneinander.
»Das Hermelincape ist viel wert. Was ist, wenn Ihnen
zu Ohren gekommen ist, dass Katja von Mühl ihr Cape im Hause Dr. Laipples
vergessen hat? Wollten Sie es holen?«
»Ich? Das glauben Sie doch selbst nicht.«
»Man hätte es verkaufen können.« Große Jäger musterte
ausführlich Sabine Johbst. »Oder verschenken. Ihre aparte Freundin hätte sich
darüber sicher gefreut. Sozusagen als kleines Dankeschön für das Asyl, das sie
Ihnen gewährt.«
»Nun werden Sie nicht persönlich«, schimpfte Hollergschwandtner.
»Mord ist immer persönlich«, entgegnete Große Jäger
ungerührt. »Welches Verhältnis haben Sie zu Katja von Mühl?«
»Na los, sag’s uns«, schimpfte Sabine Johbst
dazwischen.
»Nun beruhige dich doch, mein Putzi«, säuselte
Hollergschwandtner in Richtung der aufgebrachten Frau.
»Ich bin nicht dein Putzi!«
Große Jäger konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken.
»Was ist nun mit dem Hermelincape?«
Hollergschwandtner hob abwehrend beide Hände. »Ich
habe damit nichts zu tun, Herr Kommissar.«
»Oberkommissar, bitte!«
»Und Katja kenne ich auch nur vom Partymachen. Wie wir
alle.« Er sah fast flehentlich Sabine Johbst an.
Die fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Stimmt.«
Ein Aufblitzen war in Hollergschwandtners Augen zu
erkennen. »Das ist doch Humbug, die Sache mit dem Cape. Man kennt sich hier auf
Sylt. So ein Ding können Sie nicht verschenken. Und verkaufen? Nonsens. An wen
denn? So ein Mantel fällt auf. Man wüsste sofort, woher es stammt und wer es
beschafft hat. Glauben Sie, dass ich die Polizei für so dumm halten würde?«
»Immerhin scheint es, als hätten Sie sich mit der
Frage befasst.«
»Ganz bestimmt nicht. Ehrlich.«
»Aber Sie waren schon einmal in Dr. Laipples
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