Der Tote vom Kliff
Johannes, mit
dem er einen Blick wechselte.
Große Jäger nutzte seine Zigarette als Zeigestock und
wies auf Lüder. »Dafür, dass Sie uns den Scheiß-Starke vom Hals gehalten haben.
Sind Sie ihm schon begegnet?«
»Am Rande«, erklärte Lüder. »Wir haben uns nur kurz
guten Tag gesagt und einer konstruktiven und angenehmen Zusammenarbeit
versichert.«
»Das geht doch nicht mit dem Arsch.«
»Wilderich!«, wurde Große Jäger von seinem Kollegen
zurechtgewiesen.
»Ich weiß«, erwiderte der Oberkommissar gelassen. »Ich
soll zum Scheiß-Starke nicht sagen, dass er ein Arschloch ist.« Er nahm einen
tiefen Zug aus seiner Zigarette. »Hätte man auf uns in Nordfriesland gehört,
wäre der ganze Mist mit der Finanzkrise nicht passiert. Kennen Sie das
wunderbar restaurierte Gebäude des Husumer Brauhauses am Ende der Neustadt?«
Lüder nickte. Das Haus war wirklich ein Schmuckstück.
»Das war früher die Direktion der Westbank«, erklärte
Große Jäger. »Die wurde mit der Vereinsbank in Hamburg zur Vereins- und
Westbank verschmolzen. Nach diesem gut funktionierenden Institut haben die
unersättlichen Bayern gegriffen und die letzten Aktionäre durch eine
Zwangsabfindung herausgedrängt, bis die HypoVereinsbank aus München selbst von
der UniCredit aus Mailand okkupiert wurde. Dazwischen gab es eine Reihe von
Skandalen. Inzwischen geht es nicht nur den Italienern schlecht, sondern auch
der Abkömmling Hypo Real Estate ist ziemlich kaputt. Mit der damaligen
Publikation des neuen Namens HypoVereinsbank wurde auch der Slogan ›Leben Sie.
Wir kümmern uns um die Details‹ veröffentlicht. Da hat keiner geahnt, dass es
ein Leben auf Pump wird. So sieht praktische Gigantomanie aus. Als die Westbank
noch in Husum residierte, war sie frei von Problemen. Und wäre es vermutlich
auch geblieben«, fügte er etwas leiser an.
»Das ist eine nostalgische Betrachtungsweise«, sagte
Christoph Johannes, doch Große Jäger winkte ab.
»Ich bin sicher kein Wirtschafsexperte, aber diesen
überbordenden Wahnsinn verstehe ich nicht.«
Christoph Johannes wollte zu einer Erwiderung
ansetzen, als der Besuch angekündigt wurde. Kurz darauf erschien Lothar
Balzkowski. Der Erste Hauptkommissar bot ihm Platz an, Große Jäger bestellte im
Geschäftszimmer Kaffee, und dann begann der Mann aus dem Ruhrgebiet ohne
Aufforderung zu sprechen.
»Moment«, bremste ihn Große Jäger. »Zunächst müssen
wir ein paar Formalien abklären. Sie heißen Lothar Balzkowski. Alter?«
»Sechsundvierzig.«
»Wohnhaft?«
»Gelsenkirchen, Brinkmannsweg.«
»Ist das in Schalke?«
Balzkowski lachte auf. »Warum denkt ganz Deutschland
immer an Schalke, wenn der Name Gelsenkirchen fällt? Nein. Das ist im Norden
der Stadt. In Hassel. Schalke und das Stadtzentrum sind für uns ferne Welten.
Wir orientieren uns nach Buer-Mitte hin. Das kennt niemand. Dabei ist es dort
urgemütlich. Aber das sind die typischen Vorurteile, wenn man über den Pott
spricht.«
»Sie arbeiten in Dortmund?«
»Ich bin freigestellter Betriebsrat der Vereinigten
Dortmunder Hütte AG , die zum
Hundegger-Imperium gehört.«
»Wie kommt man damit zurecht, in Gelsenkirchen zu
wohnen und in Dortmund zu arbeiten?«
»Was wollen Sie damit … Ach so.« Balzkowski lachte.
»Mein Herz schlägt gleichzeitig für die Borussia und für Schalke 04. Ich bin
ein echtes Kind des Ruhrgebiets und kann mich gleichzeitig für Dortmund und
Schalke, zusätzlich aber auch für die vermeintlich graue Maus V f L Bochum begeistern. Ruhrgebiet und Fußball – das gehört zusammen. Das ist unser
Leben. Und alle drei Vereine verkörpern den Fußball im Ruhrgebiet. Wissen Sie,
Ruhrgebiet – das ist keine Gebietsangabe, das ist die Definition eines
Lebensgefühls.«
»Und da trifft es Sie hart, wenn irgendwer aus dem
Süden im Ruhrgebiet etwas plattmachen will«, schwenkte Große Jäger auf das
eigentliche Thema um.
»Das ist immer die gleiche Schweinerei. Da sitzen
irgendwelche Leute und wollen Kasse machen. Das interessiert die einen feuchten
Dreck, wer das alles aufgebaut hat. Seit Jahrzehnten malochen die Arbeiter.
Mein Vater hat schon am Hochofen gestanden. Und nun soll alles plötzlich vorbei
sein? Aus? Ende? Da kommt doch der heilige Zorn hoch.«
»Haben Sie mit Hundegger junior gesprochen?«
»Das ist doch eine ganz linke Bazille. Haben Sie eine
Ahnung, was da läuft? Die machen doch da unten in Schwaben eine ganz heiße
Nummer. Hundegger-Industries – das ist ein krummes Ding. Die
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