Der Tote vom Maschsee
Schönes â Liliane. Selten hat ein Name so gut zu einer Person
gepasst. Eine hochgewachsene, zarte Lilie. â Langsam lässt die Ãbelkeit nach.
»Soso, hier herinnen haben Sie sich verschteckt.« Dr. Bächle betritt
den Toilettenvorraum, ein spöttisches Lächeln auf den fleischigen Lippen.
»Und?«, fragt Fernando.
»Drei Schüsse. Der erschte hat den Herzmuschkel tangiert. Danach
sind noch zwei in den Unterbauch abgegebe worde.«
»Die reinste Hinrichtung.«
»Ha noi, so würdâ ich des net formuliere!«, protestiert der
Mediziner. »Ich glaub eher, dass der Offermann nach dem erschten Schuss net
sofort umgâfalle isch, so wie man es im Fernsehkrimi immer sieht. Er war ja ein
gschtandenes Mannsbild, gell.«
»Sie denken, der Schütze ist in Panik geraten, weil sein Opfer auf
den ersten Schuss nicht wie erwartet reagiert hat. Daraufhin hat er gleich noch
zwei Mal gefeuert?«, vergewissert sich Fernando, dem Bächles Akzent heute
besonders ausgeprägt zu sein scheint. Vielleicht liegt es an dem intimen Ort,
an dem sie sich befinden.
»Des wärâ möglich«, bestätigt Bächle und fährt fort: »Der erschte
Schuss war aber dennoch todesursächlich. Die Projektile dürfen Sie mitnähme.«
»Und die Zunge?«
»Die bleibt da.«
»Ich meine ⦠es ist doch seine, oder?«
»Eindeutig. Und es war ein recht scharfes Inschtrument, das man zum
Abtrenne benutzt hat.«
»Ein Skalpell?« Liliane Fender ist Ãrztin, wenn auch von einer
unblutigen Fachrichtung. Aber gelernt ist gelernt.
Bächle legt seine Dackelstirn in tiefe Falten. »Ha noi, so scharf
auâ wieder net. An der Zunge waren Baumwollfasern. Vielleicht wurde ein
Sacktuch benutzt, um sie feschtzuhalte.«
»Was für ein Tuch?«
»Ein Taschetuch aus Schtoff«, nuschelt der Schwabe. »Aber des isch
nur eine Vermutung von mir.«
Ein Stofftaschentuch, wie seine Mutter sie benutzt? Wer auÃer
älteren Damen hat heute noch so etwas bei sich, fragt sich Fernando.
»Wann wurde sie abgeschnitten?«
»Etliche Minude nach Eintritt des Todes, genau kann man das net
sage. Auf jeden Fall poscht mortem .«
Die Schusswaffe, das scharfe Messer, das sieht nach Vorsatz aus â
obwohl Fernando genug Leute kennt, die ohne derlei Utensilien gar nicht erst
vor die Tür gehen. »Und sonst?«
Dr. Bächle schüttelt bekümmert sein weiÃes Haupt. »Nix.
Wasserleichen sind immer eine Kataschtrophe, was die Spurenlage angeht. Wann
kommt denn die Dame zur Identifikation?«
»Um elf. Schaffen Sie das?«
»Ha jo. Bis um Elfe ham mir den scho wieder zâämegflickt.«
»Achten Sie bitte darauf, dass er den Mund zu hat«, bittet Fernando
und geht hinaus auf den Flur. Manche können ja nicht pinkeln, wenn einer
zusieht.
»Wie hat Ihnen der Vortrag gefallen?«, fragt Oda, nachdem
sie die Personalien von Frau Schlömer aufgenommen hat. Die Inhaberin der
Buchhandlung paperback ist Mitte fünfzig. Oda hat sie
gestern Abend deutlich jünger geschätzt, und auch bei Tageslicht bestätigt sich
dieser Eindruck. Anscheinend konserviert Bücherluft. Oder sie hat einfach nicht
so viel Stress.
»Geht so. Aber mir muss er ja nicht gefallen. Mir gefällt ja auch
nicht jedes Buch, das ich verkaufe.«
»Haben Sie vorgestern Abend viele verkauft?«
»Ãber fünfzig Stück.« Ein zufriedenes Lächeln kräuselt die
ungeschminkten Lippen.
»Haben Sie gehört, was Offermann beim Signieren mit den Leuten
gesprochen hat?«
»Nein, ich war durch den Verkauf abgelenkt. Ich habe nicht zugehört,
was da geredet wurde. Bis auf den Streit.«
»Welchen Streit?«
»Eine Dame ist an den Signiertisch gekommen und hat Dr. Offermann
beschimpft.«
Oda richtet sich auf. »Was hat sie gesagt?«
»An den genauen Wortlaut erinnere ich mich nicht mehr. Sie meinte
wohl, er sei selbst nicht besser als seine Klientel. Und er habe überhaupt
keinen Respekt vor den Opfern der Verbrechen. Etwas in der Art.«
»Wissen Sie, wer das war? Haben Sie die Frau schon vorher mal
gesehen?«
»Ja, im Fernsehen.«
»Im Fernsehen?«, wiederholt Oda erstaunt.
»Es gab mal so eine Talkshow. Ich weià nicht mehr, vielleicht Maischberger , oder nein, es war Maybrit
Illner . Ist schon ein paar Monate her. Da ist diese Frau zusammen mit
Offermann
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