Der Tote vom Strand - Roman
aus dem ich hier liege«, sagte Moreno. »Er mag mich leiden. Mag zumindest Frauen eher als Männer.«
»Ach? Und er kann selber entscheiden, von wem er verhört wird? Die neue Charmeoffensive der Polizei, wenn ich das richtig verstanden habe?«
»Könnte man meinen, ja. Auf jeden Fall bin ich ihm lieber als der Polizeichef, und da kann ich ihn sogar verstehen. Vrommel ist nicht gerade eine Zierde seines Standes...«
»Vrommel?«
»Ja, so heißt er. Steife sechzig, steifer Kragen, steif in der Birne ...«
Sie unterbrach sich einen Moment und staunte darüber, wie
leicht ihr die Worte aus dem Mund strömten. Liegt sicher an der Soße, dachte sie. Sommer, Ferien und Sauvignon blanc ...
»Ich weiß, wer er ist«, sagte Mikael Bau.
»Wer denn?«
»Vrommel natürlich.«
»Du? Wieso weißt du, wer Vrommel ist?«
Mikael Bau breitete die Arme aus und vergoss ein wenig Wein.
»Das Haus«, erklärte er. »Dieses hier. Vergiss nicht, dass ich mein Leben lang hier den Sommer verbracht habe. In Port Hagen kenne ich mich besser aus als in meinem Werkzeugkasten. In Lejnice auch ... das ist hier doch sozusagen der zentrale Ort.«
Moreno dachte nach.
»Alles klar. Aber der Polizeichef? Ich deute das dahingehend, dass ihr in kriminelle Aktivitäten verwickelt seid... du und deine Sippe, meine ich.«
Mikael Bau knurrte viel sagend.
»Hrrrm«, sagte er. »Nicht ganz. Ich kann mich an Vrommel erinnern, weil er einmal hier war. Muss so Anfang der achtziger Jahre gewesen sein, ich war fünfzehn oder sechzehn. Eine meiner Schwestern hatte eine Freundin, die in irgendetwas verwickelt war. Hab vergessen, was... oder hab es wohl nie richtig gewusst. Jedenfalls war er hier, um mit Louise zu sprechen... oder sie zu verhören? Langer rothaariger Typ, dieser Vrommel, oder? Und ziemlich grob.«
»Jetzt hat er eine Glatze«, korrigierte Moreno. »Grob ist er allerdings... aber warum zum Henker unterhalten wir uns eigentlich über glatzköpfige Polizisten?«
»Keine Ahnung«, sagte Mikael Bau. »Kommt mir auch blöd vor, wo es doch in nächster Nähe behaarte Bullen gibt.«
Er packte ihre nackten Füße und massierte sie.
Behaarte Bullen?, dachte Ewa Moreno.
Dann lachte sie schallend los.
»Ich glaube, ich brauche einen Spaziergang am Strand«, sagte
sie dann. »Ich habe zu viel getrunken... und zu viel Soße gegessen.«
»Ebenfalls«, sagte Mikael Bau. »Nehmen wir eine Decke mit? Der Mond scheint.«
»Ohne Decke schaffen wir das nicht«, sagte Ewa Moreno.
Sie kamen unmittelbar vor Sonnenaufgang vom Strand zurück, und am Sonntag schlief sie dann bis zwölf.
Das tat auch Mikael Bau, und nach dem Frühstück, das vor allem aus Saft und Kaffee bestand, ließen sie sich in den Liegestühlen im Garten nieder, mit noch mehr Saft und Mineralwasser in Reichweite. Erst jetzt ging Ewa Moreno so richtig auf, in was für ein fantastisches Haus sie da geraten war. In ein großes, verwinkeltes altes Holzgebäude, das unten von einer Veranda und oben von Balkons umgeben war. Knackende Treppen und schiefe Winkel und Ecken, die sich für ewige Zeit in jedes Kindergedächtnis hätten einätzen müssen. Erker mit getrockneten Blumen, undichte altmodische Fenster und Möbel aus vier oder fünf Generationen und zehnmal so vielen Stilrichtungen.
Wie die Familie Bau an dieses Haus — das übrigens Tschandala hieß, warum auch immer, — geraten war, hüllte sich in mystisches Dunkel. Kein Familienmitglied sei jemals dafür bekannt gewesen, mehr Geld zu besitzen, als für das tägliche Brot nötig war, behauptete Mikael, doch nach einer zählebigen Theorie hatte ein gewisser Sinister Bau alles zu Beginn der zwanziger Jahre in einer befremdlichen und sagenumwobenen Pokerpartie an sich gerissen. Einer Nebentheorie zufolge hatte er am selben Abend seine junge Braut an einen ungarischen Zigeunerhäuptling verspielt, weshalb die Familie der Meinung war, dass Gewinn und Verlust sich so einigermaßen die Waage hielten.
Und dass sie Tschandala mit Fug und Recht ihr Eigen nennen konnten.
Das alles und noch mehr erzählte Mikael Bau, während sie nackt in den Liegestühlen lagen; das Gestrüpp aus knochigen Zwergtannen und Aviolisbüschen war dicht und üppig und
verhinderte aufs Wirkungsvollste jeglichen Einblick, und Ewa Moreno merkte, wie sie sich an einigen Stellen doch fragen musste, ob er sich die ganzen Geschichten nicht während des Erzählens aus den Fingern saugte.
Falls nicht ohnehin alles eine Art Illusion war. Das Haus, das Wetter
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