Der Tote vom Strand - Roman
standen zufälligerweise gerade zwei wahre Sahneschnitten. Voll einsatzfähig, gut eingefahren, zum puren Schrottpreis zu haben.
Im Moment brauche sie keins, sagte sie. Aber sie versprach, auf ihn zurückzukommen, sollte sich das ändern.
Dann wurde das Essen serviert, und sie aß mit der vagen Hoffnung, dass sich doch noch alles finden würde, obwohl sie ja kaum hoffen durfte, dass das passieren würde. Und verlangen durfte sie es schon gar nicht.
Zum Kaffee trank sie einen kleinen Calvados, um sich daran zu erinnern, dass sie in gewisser Hinsicht immer noch Urlaub hatte, danach führte sie ein weiteres Telefongespräch. Sie rief bei ihrer Freundin und ihrem Lebensanker Clara Mietens an.
Die sich per Anrufbeantworter meldete. Fünfunddreißig Sekunden fasste Moreno die Lage zusammen, erklärte, dass sie vermutlich gegen Ende der Woche nach Maardam zurückkehren werde und fragte, ob der Vorschlag, einige Tage mit dem
Fahrrad die Gegend um Sorbinowo zu erkunden, noch auf der Tagesordnung stehe. Nächste Woche oder so?
Sie hinterließ ihre Handynummer und bat um Antwort, sowie Clara ihren Anrufbeantworter abgehorcht und sich die Sache überlegt hatte.
Brauche Bewegung, dachte Inspektor Moreno. Sonst erstarrt alles in meinem Kopf.
Dann bezahlte sie und machte sich auf den Weg zum Strand.
Dort war ebenso viel los wie an den heißen Tagen der vergangenen Woche, und schon aus der Ferne sah sie die rotweißen Absperrbänder der Polizei.
Ein Stück weiter gen Norden und in ziemlicher Entfernung vom Wasser (die Flut ging zurück, und die blanken Rücken der Sandbänke waren schon zu sehen) war ein Gelände von der Größe eines halben Fußballplatzes abgesperrt worden. Die Bänder bildeten ein Viereck und flatterten friedlich in der leichten Seebrise, und Moreno dachte, sie habe schon lange nichts mehr so Surrealistisches und Bizarres gesehen.
Im Süden wie im Norden — im Grunde, so weit das Auge reichte — tummelten sich muntere Menschen, sie badeten, sonnten sich, spielten Strandtennis und Fußball und warfen Frisbees, leicht in der Kleidung und locker im Sinn. Doch im düsteren Quadrat des Todes herrschten andere Bedingungen. Hier waren uniformierte Techniker am Werk und hielten schwitzend Ausschau nach Spuren, und drei Kollegen von der Hundestreife patrouillierten würdevoll an der Absperrung, um die Gaffer auf Distanz zu halten, während der feinkörnige Sand mit schlafwandlerischer Unerbittlichkeit ihre vorgeschriebenen schwarzen Halbschuhe füllte.
Die eigentliche Fundstätte, die ungefähr in der Mitte des halben Fußballplatzes lag, war mit einem weiteren Band gekennzeichnet, doch diese Stelle war offenbar schon hinreichend untersucht worden. Das Team von der Spurensicherung — Moreno zählte fünf kriechende Männer plus einen aufrecht stehenden
Chef — war im Moment in einem konzentrischen Kreis gut und gern zehn Meter von der Grube entfernt beschäftigt.
Denn es war eine Grube. Und sie wusste, wie es lief, man arbeitete sich von innen nach außen vor. Sammelte alles ein, was man im Sand fand und was von Menschenhand stammen konnte, und steckte es in Plastiktüten, die danach versiegelt wurden. Kippen. Papierfetzen. Kaugummi. Kapseln. Kondome und abgebrannte Streichhölzer.
Alles mit dem Ziel, eine Spur zu finden. Und am besten eine Mordwaffe. Noch ehe sie den heißen, rutschigen Sand betreten hatte, wusste sie, dass hier von einem Mord die Rede war. Das sah sie an der Absperrung. An allem, was die anderen unternahmen. Und es war vielleicht vor allem diese Erkenntnis, die ihr das Gefühl von Surrealismus gab. Von bizarrer Wirklichkeit.
Inspektorin Moreno hatte das alles schon erlebt und wusste, was ihre Augen ihr da berichteten.
Einer der Hundeführer hatte blaue Augen, und für ihn entschied sie sich.
Er hieß Struntze, wie sich herausstellte. Sie ließ ihn in aller Ruhe ihren Dienstausweis betrachten, ehe sie erklärte, dass sie eben erst in diesen Fall einbezogen worden sei und sich jetzt einen Überblick verschaffen wolle. Wo sie Hauptkommissar Vrommel finden könne? Sie habe erwartet, ihn hier vorzufinden.
Der sei vor einer Viertelstunde verschwunden, teilte Struntze mit. Wolle aber zurückkommen.
Moreno erklärte, das sei nicht so wichtig, sie werde später ja auf jeden Fall mit ihm zusammentreffen. Jetzt wolle sie wissen, was passiert sei.
Wachtmeister Struntze stand überaus gern zu Diensten und vermittelte ihr in gekonntem Theaterflüstern ein Bild der Lage.
Mord. Darauf
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