Der Tote vom Strand - Roman
war nichts Entscheidendes passiert, das mochten die Götter wissen. Nichts war passiert, das ihren überstürzten Rückzug gerechtfertigt hätte. Er hatte sie nicht geschlagen, auch wenn sie für einen kurzen, Schwindel erregenden Augenblick damit gerechnet hatte.
Er war kein Macho. War nicht blöd. Hatte keine heimlichen Laster offenbart. Keine Leiche im Keller, keine plötzlich klaffenden charakterlichen Abgründe. Nur einen alten Trabi.
Hatte sie ihn also satt bekommen? Konnte das Grund genug sein?
An ihrer Beziehung, an ihrem Zusammensein war nichts auszusetzen gewesen, sie hätte zumindest nicht gewusst, was, aber vielleicht war das auch das Schönste, was sie über diese Angelegenheit zu sagen hatte. Dass nichts daran auszusetzen gewesen war.
An meinem alten Kühlschrank ist auch nichts auszusetzen, dachte sie. Aber mit dem würde ich auch keine Kinder bekommen.
Offenbar war doch noch mehr vonnöten. Nicht nur das Fehlen von Schattenseiten.
Verdammtes Glück, dass ich diesen Schrotthaufen oben beim Sidonis zurückgelassen habe, dachte sie. Das hat die Sache ja sozusagen auf die Spitze getrieben.
Das Trabisyndrom?
Sie merkte, dass sie kaum mehr das Lachen unterdrücken konnte, als sie sich das überlegte. Bin ich ein Miststück?, fragte sie sich dann. Werde ich jetzt wirklich zum Miststück? Clara Mietens hatte schon vor Jahren ein solches Verhalten dem anderen Geschlecht gegenüber perfektioniert, doch Ewa Moreno hatte sich nie die Mühe gemacht, diese Entscheidung zu verstehen oder zu analysieren. Vielleicht brauchte sie es auch nicht. Sie konnte sich ein Leben ohne Mann nur schwer vorstellen, aber für die verbleibende Urlaubszeit — für diese noch knapp drei Wochen —, ja das war etwas anderes.
Kein Grund, sich den Kopf zu zerbrechen. Die Zweisamkeit mit Mikael Bau war wirklich hervorragend gewesen — und brauchte auch nicht analysiert zu werden, beschloss sie. Warum sollten Frauen immer ihr Gefühlsleben in alle Einzelteile zerlegen? Alles in Worte fassen? (Eine Auswirkung ihres konstant schlechten Gewissens vielleicht?) Es reichte doch, die Gefühle wahrzunehmen. In mancher Hinsicht waren Frauen wirklich die größeren Sünderinnen, wenn es darum ging, ihre Gefühle zu intellektualisieren — die Gefühle zu viereckisieren, wie Clara das nannte —, dieser Gedanke kam ihr nicht zum ersten Mal. Männer hielten die Klappe und fühlten einfach nur.
Zumindest taten sie Ersteres.
Aber egal, sie hatte ihm ja absolut nichts versprochen. Rein gar nichts. So what?
Eine freie Frau eben. Die erste in der Weltgeschichte. Ja, doch, halleluja.
Hoffentlich wartet er nicht auf mich, wenn ich zurückkomme, dachte sie besorgt. Mit einer Flasche Wein und einer neuen Köstlichkeit. Ich kann heute keine Gefühlsstürme und dramatischen Abschiedsszenen ertragen.
Die Sonne verzog sich hinter einer Wolke. Sie schob ihre Sonnenbrille nach oben und ihre Überlegungen zum Thema Mikael Bau zur Seite.
Sie merkte, dass sich ihr Schritttempo änderte, sowie sie
nicht mehr an ihn dachte. Als habe sie sich von einem Irritationsmoment befreit, das sie unnötig angetrieben hatte.
Als forderte Thema Nummer zwei — Mikaela Lijphart und ihre gespaltene Familie — ein größeres und vollständigeres Engagement. Vielleicht war das ja auch kein Wunder.
Das weinende Mädchen im Zug. Die verzweifelte Mutter. Der Vater, der so lange vergessen und versteckt gewesen war.
Und diese ekelhafte alte Geschichte über Maager und die Schülerin Winnie Maas.
Ein Nachspiel nach sechzehn Jahren?, dachte sie dann. Ist es das?
Andererseits: Welche Erklärung sollte es denn sonst geben? Wie könnte sie sonst erklären, dass Mikaela Lijphart und ihr Vater sich nur wenige Tage nacheinander in Luft auflösten? Nach ihrer ersten Begegnung seit sechzehn Jahren. Sie hatten sich in gewisser Weise zum ersten Mal getroffen, denn Mikaela war doch erst zwei Jahre alt gewesen, als Arnold Maager in die Anstalt eingesperrt worden war. Sie konnte sich wohl kaum noch an ihn erinnern.
War es wirklich möglich, dass zwischen dem Verschwinden der beiden keinerlei Zusammenhang bestand?
Nie im Leben, entschied Ewa Moreno. Selbst eine Siebenjährige würde begreifen, dass es hier einen Zusammenhang gibt.
Aber wie könnte der aussehen?
Sie änderte die Richtung um dreißig Grad und ging durch knietiefes Wasser weiter. Kühl und schön war das, aber es half nichts. Die Fragen blieben weiterhin unbeantwortet. Wie sah der Zusammenhang aus? Welcher dünne
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