Der Tote vom Strand - Roman
sehr tatkräftig. Und jetzt habe ich nur noch ein paar Fragen. Als Sie versucht haben, Kontakt zu Herrn Maager aufzunehmen, haben Sie sich da überlegt, was passiert sein könnte?
B : Nein.
V : Und er machte keinerlei Andeutungen? Durch Worte oder Zeichen oder auf irgendeine andere Weise?
B : Nein. Er hat sich überhaupt nicht geäußert. Abgesehen von diesem seltsamen Geräusch, meine ich.
V : Und Sie haben keine Schlussfolgerungen gezogen?
B : Da noch nicht. Heute habe ich ja gehört, was vorgefallen ist. Es ist entsetzlich, aber im ersten Moment hatte ich keine Ahnung, nicht in dieser Nacht.
V : Woher haben Sie erfahren, was passiert ist?
B : Von Alexander. Meinem Sohn. Er hatte es in der Stadt gehört, solche Neuigkeiten verbreiten sich ja schnell, und das ist vielleicht auch kein Wunder. Maager hat angeblich ein Verhältnis mit der Kleinen gehabt, das scheint so ungefähr die ganze Schule gewusst zu haben. Das ist natürlich ein Skandal, ja, ich weiß wirklich nicht, was ich dazu sagen soll. Hat er sie zu allem Überfluss dann auch noch von der Brücke gestoßen?
V : Wir können noch nichts über die Todesursache sagen, aber wir können auch keine Möglichkeit ausschließen. Und Sie sind ganz sicher, dass Sie in der Nähe der Unfallstätte keine anderen Menschen gesehen haben?
B : Absolut.
V : Keine vorüberfahrenden Autos, keine, die ihnen auf dem
Weg dorthin entgegengekommen wären?
B : Nein. Ich glaube, mir ist nur ein Auto begegnet, nachdem ich Otto Golnik draußen in Missenraade abgesetzt hatte. Und in der Nähe der Eisenbahnbrücke war niemand, da bin ich mir sicher.
V : Sie scheinen über eine außergewöhnliche Beobachtungsgabe zu verfügen, Herr Baarentz.
B : Ja, vielleicht. Ich bin ein Mensch, der alles ziemlich genau nimmt. Das ist wichtig in meinem Beruf. Und das Bridge ist wohl auch eine Hilfe, man muss da schließlich die ganze Zeit aufpassen.
V : Ich verstehe. Danke, Herr Baarentz. Sie waren uns eine große Hilfe.
B : Keine Ursache. Ich habe meine Pflicht getan, mehr nicht.
33
22. Juli 1999
Erst am Donnerstag erreichte die Vermisstenmeldung von Arnold Maager — vierundvierzig Jahre alt, eins sechsundsiebzig groß, schmal gebaut und mit aschblonden Haaren, möglicherweise deprimiert, möglicherweise verwirrt, vermutlich beides — die Öffentlichkeit. Er war inzwischen seit fünf Tagen verschwunden; zuletzt war er am vergangenen Samstag im bei Lejnice gelegenen Heim der Sidonisstiftung gesichtet worden, wo er seit anderthalb Jahrzehnten in Pflege war — und aller Wahrscheinlichkeit nach war er gekleidet in Turnschuhe Marke Panther, blaue oder braune Jeans, ein weißes T-Shirt und eine hellere Windjacke. Am selben Tag, und schon in der Morgendämmerung, machte sich eine vierzehn Mann starke Streife aus Lejnice, Wallburg und Emsbaden an die Aufgabe, die Umgebung des Sidonisheims zu durchkämmen — eine Arbeit, die gegen fünf Uhr nachmittags abgeschlossen war, ohne dass irgendein Hinweis auf den Verbleib des verschwundenen psychiatrischen Patienten entdeckt worden wäre.
Zusammen mit Maagers Vermisstenmeldung wurde die seiner Tochter, Mikaela Lijphart, noch einmal wiederholt, diesmal landesweit. Mikael war seit elf Tagen verschwunden, und alle, die glaubten, das Mädchen während dieser Zeit gesehen zu haben — oder die auf andere Weise etwas zur Fahndung beitragen konnten — wurden gebeten, sich unverzüglich bei der nächstgelegenen Polizeidienststelle zu melden. Oder auf der Lejnicer Wache.
Der einzige Mensch, der dieser Aufforderung nachkam, war Sigrid Lijphart, die Mutter der Verschwundenen, und sie wollte keine Tipps oder Auskünfte loswerden, sondern — wie immer — wissen, warum zum Teufel die Polizei noch immer nichts herausgefunden hatte. Vrommel hatte — wie immer — keine überzeugende Antwort auf diese Frage, und Frau Lijphart drohte — wie immer — sich bei den höheren Instanzen zu beschweren, wenn sie nicht bald etwas vorzuweisen hätten.
Und bei den höheren Instanzen könnte sie dann immerhin eine Beschwerde wegen ernsthafter Dienstversäumnisse einreichen. Vrommel fragte höflich, ob er ihr einen Vordruck zusenden solle, um ihr dabei behilflich zu sein — entweder Formular B 112-5 GE, für Dienstversäumnis, oder B 112-6 C, für Vernachlässigung —, aber sie lehnte in beiden Fällen dankend ab.
Was ihren ebenfalls verschwundenen ehemaligen Gatten anfing, so stellte Frau Lijphart keine Fragen und auch keine Ansprüche.
Polizeianwärter
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