Der Tote vom Strand - Roman
Vegesack wohnte mit seiner Marlene in einem der neuen Mietshäuser in der Friederstraat, nur einen Steinwurf vom Strand entfernt, und nach kurzem Überlegen — und nachdem Vegesack ihr dieses Angebot gemacht hatte — hatten sie sich hier verabredet. In ihrer Lage war Diskretion angesagt, die Wache war ausgeschlossen, und es war nicht leicht, auf die Schnelle einen anderen Treffpunkt zu finden.
Drei Zimmer und Küche, stellte Moreno fest, als Vegesack sie willkommen hieß. Großer Balkon und schöner Blick auf das Meer und den Leuchtturm von Gordons Punkt. Gar nicht schlecht. Ihr fiel ein, dass er erzählt hatte, dass Marlene Urdis Architektur studierte, und sie fragte sich, ob sie sich vielleicht auch der Innenarchitektur widmete. Es mochte fast den Anschein haben, aber Marlene war nicht zu Hause, und deshalb war die Frage momentan wohl nicht angebracht. Zimmer und Möbel waren farblich sorgfältig aufeinander abgestimmt, die Wände waren nicht mit Tand voll gehängt, es gab nur einige
Kunstdrucke, Tiegermann, Chagall und zwei Selbstportraits von Cézanne. Mit Büchern voll gestopfte Regale. Hohe Grünpflanzen. Ein Klavier. Sie fragte sich, ob Vegesack oder seine Verlobte darauf spielten. Oder beide? Gut, dachte sie. Ich entwickle Vertrauen zu ihm.
Doch sie hatten sich hier ja nicht getroffen, um Stilfragen und Gemütlichkeit zu diskutieren. Die düsteren Mienen der Kriminalbeamten Kohler und Baasteuwel, die in neu gepolsterten Sesseln aus den fünfziger Jahren saßen, ließen in dieser Hinsicht keinen Zweifel. Im Gegenteil.
»Schieß los«, sagte Baasteuwel. »Worum geht es also, zum Teufel?«
Vegesack holte vier Bier, und Moreno setzte sich aufs Sofa.
»Hier liegt ein Hund begraben«, sagte sie.
»Heißt der möglicherweise Vrommel?«, fragte Kohler.
»Jedenfalls hält der Polizeichef sich in der Nähe des Grabes auf«, erklärte Moreno. »Und deshalb fände ich es ziemlich gut, euch über alles zu informieren. Wollt ihr mit der Gegenwart anfangen oder mit der Vergangenheit?«
»Mit der Vergangenheit«, sagte Baasteuwel. »Ach verdammt, als sie Kohler und mich abkommandiert haben, haben sie behauptet, wir könnten in zwei oder drei Tagen fertig sein. Hätte heute meinen ersten Urlaubstag gehabt. Aber das ist ja nicht das erste Mal.«
»Und sicher auch nicht das letzte«, bemerkte Kohler trocken. »Können wir jetzt ein wenig Butter bei die Fische kriegen?«
Moreno schaute fragend zu Vegesack hinüber, und der nickte als Zeichen dafür, dass sie anfangen sollte. Sie zog den Block aus ihrer Tasche.
»Nun gut«, sagte sie. »Also, der Reihe nach. Vor sechzehn Jahren, fast auf den Tag genau sogar, ist hier in der Stadt etwas passiert, das ... das seine Spuren hinterlassen hat, so könnte man das wohl sagen. Ein Lehrer hier an der Schule, Arnold Maager, hatte ein Verhältnis mit einer Schülerin, einer gewissen Winnie Maas. Sie wurde schwanger, worauf er sie ermordet
hat. Das jedenfalls ist die offizielle Version. Er hat sie angeblich von der Eisenbahnbrücke gestoßen. Es ist ziemlich hoch, sie ist beim Aufprall auf die Gleise ums Leben gekommen. Er wurde gefunden, als er mit dem Mädchen auf dem Schoß auf den Gleisen saß. Mitten in der Nacht. Er hat zu allem Überfluss den Verstand verloren und seither in einer psychiatrischen Klinik gesessen. . . dem Sidonisheim, das hier in der Nähe liegt. Er wurde schuldig gesprochen, hat aber nie ein wirkliches Geständnis abgelegt, weil er während der Verhandlung nicht zurechnungsfähig war. Maager war damals verheiratet und hatte eine kleine Tochter, seine Frau hat sich sofort von ihm getrennt, und seither hat er weder sie noch die Tochter jemals wiedergesehen. Die beiden sind noch im folgenden Herbst aus der Stadt weggezogen. Ja, das ist so in groben Zügen die Vorgeschichte. Habt ihr Fragen?«
Sie schaute sich am Tisch um.
»Nette Geschichte«, sagte Baasteuwel und trank einen Schluck Bier.
»Ja, herzig«, sagte Moreno. »Aber zurück zur Gegenwart. Als ich vor ...«, sie rechnete kurz im Kopf, » ... vor zwölf Tagen nach Lejnice gekommen bin, kam ich in der Bahn mit einem jungen Mädchen ins Gespräch, das sich dann als Maagers Tochter erwies. Wir kamen also ins Gespräch. Sie war eben achtzehn geworden und wollte jetzt ihren Vater im Sidonisheim besuchen, zum ersten Mal. Das letzte Mal hatte sie ihn mit zwei Jahren gesehen und seither nicht einmal gewusst, dass es ihn überhaupt gab. Ihre Mutter hatte sie am Vortag darüber informiert, und die Kleine
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