Der Tote von der Isar: Kriminalroman (German Edition)
in der Luft. Gertie Thaler ging sofort durch die Zimmer und öffnete alle Fenster.
Sie versammelten sich im Wohnzimmer. Da die Musikanlage und die Schallplattensammlung nun fehlten, wirkte das Zimmer noch unbewohnter und leerer als bei Geralds und Batzkos erstem Besuch. Nur das Kasperltheater stand noch immer in der Mitte des Raums und zog sofort den Blick auf sich. Die Figuren, der Polizist, eine Marktfrau, ein Harlekin, ein Bürger, lagen bäuchlings über dem Bühnenrand, als wären sie alle ermordet worden. Auf dem Tisch bei der Sitzgruppe standen noch die Gläser mit einem eingetrockneten Flüssigkeitsrest. Batzko stellte sich in den Türrahmen, als wollte er einen Fluchtversuch verhindern.
»Es ist schade, dass die Musikanlage nicht mehr da ist«, begann Gerald schließlich. »Eine Rezitation von Will Quadflieg oder die leidenschaftliche und zugleich tief gequälte Stimme von Klaus Kinski, der Gedichte von Villon liest, wären eine schöne Einstimmung gewesen.«
»Ich finde Ihren Sarkasmus sehr unangemessen«, sagte Gerd Thaler. »Immerhin ist ein enger Freund von uns ums Leben gekommen.«
»Auf eine Weise, die uns zu intensiven Ermittlungen zwingt, die auch diese Räumlichkeiten einschließen«, entgegnete Gerald ruhig. »Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie sich über die Ereignisse in dieser Wohnung lieber ausschweigen würden, aber ich bitte Sie alle, unsere Arbeit nicht zu erschweren. Um mit Ihnen zu beginnen, Herr Mostert. Sie haben uns selbst von Ihrer Scheidung erzählt. Die durch die besonderen Umstände zudem noch in der Öffentlichkeit stattfand. Etwa zur gleichen Zeit sind Ihnen die zynischen Spielregeln in Ihrem Beruf zum ersten Mal wirklich bewusst geworden, und Sie mussten erkennen, dass Sie mit Ihren Fähigkeiten immer der bleiben würden, der im Hintergrund arbeitet, während die anderen sich in ihrem Erfolg sonnen. Eben weil es in der Politik offenbar nicht in erster Linie nur um Inhalte geht, sondern vor allem um die Fähigkeit, diese Inhalte möglichst erfolgreich zu verpacken und zu verkaufen.« Gerald sprach den Ministerialdirigenten direkt an, der im wahrsten Sinne des Wortes mit dem Rücken zur Wand stand. Sein Mund war leicht geöffnet, die Finger der rechten Hand krallten sich um das Papier, in das die Leberkäsesemmel eingewickelt gewesen war.
»Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, aber ich glaube, jeder von uns durchlebt Phasen, in denen er den alltäglichen Trott unerträglich findet. Mit den Schallplatten aus Ihrer Kindheit und Jugend hatten Sie zumindest für eine gewisse Zeit die Möglichkeit, ganz und gar in die Welt des Theaters und der Sprache zu flüchten.«
»Zutreffend analysiert«, bemerkte Gerd Thaler. Sein Kommentar war beinahe unhörbar, weil unten auf der Straße ein Lastwagen mit quietschenden Bremsen rangierte. Dennoch war ein ironischer Unterton deutlich zu hören, der Gerald überraschte.
Mostert rührte sich immer noch nicht. Er wirkte wie gelähmt, wie ein Reh, das nachts von einem Scheinwerfer angestrahlt wird.
»Ich kann mir Ihre Verzweiflung ganz gut vorstellen, Herr Dr. Mostert«, fuhr Gerald van Loren fort. »Ich bin auch sicher, dass die Chemie zwischen Ihnen und Herrn Baumann gestimmt hat, denn Sie beide verband etwas Entscheidendes. Sie wollten keinen Schlussstrich ziehen und etwas Neues beginnen. Sie haben einfach gehofft, dass die Auszeiten in dieser Wohnung Ihnen helfen würden, die Krise zu überstehen.«
Der Ministerialdirigent hob protestierend den rechten Arm, öffnete den Mund, aber er sagte nichts. Nach einigen Sekunden senkte er den Kopf und nickte kaum merklich.
»Dass Sie etwas mit dem Mordfall zu tun haben, kann ich mir deshalb nicht vorstellen«, fuhr Gerald fort, »doch bei dem Ehepaar Thaler hatte ich von Anfang an das Gefühl, dass sie mir etwas verheimlichen.«
Gerd Thaler betrachtete Gerald van Loren mit zusammengezogenen Augenbrauen. Er hob seine Aktentasche vor den Oberkörper, als ob sie ihn vor einem Geschoss schützen sollte.
»Was Sie uns bei unserem letzten Treffen erzählt haben, Herr Thaler, kann ich bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen. Auch mich nervt es, wenn ich in der S-Bahn anhören muss, wie Geschäftsleute die Ergebnisse eines Meetings ausbreiten oder eine Frau ihrer Freundin den letzten Ehestreit erläutert. Aber ich glaube, das erklärt nicht hinreichend, warum Sie hierher gekommen sind.«
Gerd Thaler versuchte sich an einer wegwerfenden Geste, die er aber nicht zu Ende führte. Seine Frau, die
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