Der Tote von der Isar: Kriminalroman (German Edition)
schnell konnte er es gar nicht heben, wie der am Boden lag. Ich nenne so etwas Selbstverteidigung. Zwölf Jahre bei der NVA hinterlassen einem eben etwas, auch wenn man das nicht laut sagen darf. Aber die beiden waren halt zu zweit, und da, wo die herkommen, hat immer nur der eigene Clan Recht. So wachsen die auf, anders kennen die es ja nicht. Also haben sie bei Ihren Kollegen auf dem Revier eine Märchenstunde abgehalten, und mir flattert eine Anzeige in den Briefkasten. Ich habe eben den Fehler gemacht, alleine zu gehen. Aber ich hoffe, das ändert sich in der nächsten Zeit. Viele Nachbarn sind bereit, sich zu organisieren.«
»Sind Sie auch vorgestern Abend, am Sonntag also, draußen gewesen, um nach dem Rechten zu sehen?«, fragte Batzko.
»Ich gehe jeden Sonntagabend spazieren. So tanke ich Energie für die kommende Woche.«
»Welche Uhrzeit?«
»Gegen zehn Uhr normalerweise. Nach dem ›Tatort‹, bevor die Seuche der Quatschsendungen wieder beginnt, gehe ich zu meinen Söhnen ins Schlafzimmer und dann noch einmal raus. Bei Wind und Wetter übrigens, zu jeder Jahreszeit. Ich habe das alles mit eigenen Augen gesehen, was sie an der Isar gemacht haben, diese Denatu …, nein, Renovie … auch nicht.« Er errötete.
»Renaturierung der Isar meinen Sie sicher«, half Gerald aus.
Minker überhörte das. »Deshalb hänge ich so an dem Fluss, wie alle Anwohner hier. Das ist nicht einfach Wasser, das vorbeifließt. Das ist unser Flussabschnitt, nicht eine Müllkippe oder ein Asozialen-Reservat.«
»Haben Sie vorgestern jemanden gesehen, der wie ein Obdachloser aussah, im Bereich zwischen Ihrer Straße und dem Oertlinweg?«
Hans Minker stand auf, ging zur Schrankwand, öffnete eines der zahllosen Fächer und holte eine Tüte mit Erdnüssen und eine Schale heraus. Die stellte er in die Mitte des Tisches, reichte die Tüte den Kommissaren, die dankend ablehnten, und setzte sich wieder auf seinen Platz.
»Nein. Ich erinnere mich jedenfalls nicht. Es ist aber auch nicht so, als ob ich deren Gesellschaft suchen würde.« Er nahm eine Erdnuss, schälte sie sorgsam und legte die Schalen in das Gefäß. »Mal unter uns: Wie läuft das hier in diesem Staat? Der normale Bürger, der arbeitet, der seine Pflicht erfüllt, der für seine Frau und seine Kinder sorgt, ist der Idiot, der Volltrottel. Er ist nur noch eine Steuerkuh, die gemolken wird, damit genügend Geld für die Banken, für die arroganten Bürokraten in Brüssel und für die Sozialschmarotzer da ist. Aber die Zeiten sind vorbei …«
»Darüber wollen wir uns jetzt nicht unterhalten«, unterbrach ihn Batzko mit eindeutiger Schärfe, »für uns ist Ihre Aussage wichtig, ob Sie vorgestern Abend einen Obdachlosen zwischen zweiundzwanzig Uhr und Mitternacht hier in der Nähe gesehen haben.«
Minker steckte mit demonstrativem Wohlgefallen die geschälte Erdnuss in den Mund und schüttelte dann mit gesenktem Blick den Kopf.
»Was machen Sie beruflich?«, fragte Gerald nach einer kurzen Pause.
»Ich bin Abteilungsleiter in einem Baumarkt«, antwortete Minker und presste die Kiefer zusammen, als wollte er verdeutlichen, wie viel Disziplin, Anstrengung und Energie ihn dieser Aufstieg gekostet hatte. Er hatte eine rötliche, bartlose Gesichtshaut, die speckig glänzte, wenn er sich aufregte.
»Gab es in letzter Zeit Auseinandersetzungen mit Obdachlosen? Ich glaube kaum, dass Ihnen das entgangen wäre.«
Minker schien nachzudenken, wie er antworten sollte. Er legte die Stirn in Falten, die kaum sichtbaren Augenbrauen bewegten sich aufeinander zu. »Ist halt die Frage, was Sie mit Auseinandersetzungen meinen. Ich bin wie die Mehrheit der Anwohner hier nicht wild darauf, mich anbetteln zu lassen, und lege auch auf den Anblick keinen Wert, wie sie ihre Notdurft entrichten wie Hunde oder die Grillplätze nach Trinkbarem absuchen. Natürlich zerschlagen die auch mal Schnaps- und Bierflaschen auf den Steinen, aber die, die dem Sandro die Sehne zerfetzt hat, war gut versteckt.«
»Kam es gelegentlich auch zu Tätlichkeiten?«
Minker nahm die nächste Erdnuss aus der Tüte, machte mit dem Nagel seines Daumens einen Schnitt genau in der Mitte und trennte die Schale ab. »Bei mir nicht. Weiter will ich mich dazu nicht äußern, obwohl es mich juckt.« Er hielt die Schale demonstrativ in die Höhe, bevor er sie fallen ließ.
In diesem Moment wurde die Haustür geöffnet, ein Schlüsselbund auf eine Ablage gelegt, und eine helle Frauenstimme ertönte: »Schatz? Bist du
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