Der Toten tiefes Schweigen
Ihrer Küche. Kochte in ihrer Küche. Nicht seine Mutter.
Mit einem festen Ruck entkorkte er die Flasche.
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Sechzehn
D er Abend roch nach offenen Feuern. In der zunehmenden Dämmerung ging Cat Deerborn auf das Ostportal der Kathedrale zu. Der Holzgeruch weckte Erinnerungen an ihre Kindheit, Schulranzen, ihr erstes Jahr als Assistenzärztin, die aus ihrem Zimmer hinüber zum Krankenhaus lief, um auf einen Piepser zu reagieren, während die Hausmeister das Laub verbrannten. Und ihre Mutter im Garten von Hallam House, groß und elegant in Jeans, Mitte siebzig, die den Abfall der Sommerbeete ins glühende Herz eines kleinen und gut überwachten offenen Feuers schob.
Cat blieb kurz stehen, um angesichts der lebhaften Erinnerungen nach Luft zu schnappen. Sie wünschte, sie könnte jetzt dorthin gehen, eine Tasse Tee machen, plaudern, nachholen.
Die Kathedrale war still und nun, am Ende des Tages, fast leer. Zwei Kirchendiener wechselten die Kerzen in den großen Haltern auf dem Altar aus. Am anderen Ende des Chorraums fegte jemand den Boden, rhythmisches Kratzen von Borsten auf Stein.
Ein Gottesdienst fand nicht statt. Cat hatte einen Brief bei der New Song School vorbeibringen müssen, und eine solche Gelegenheit nutzte sie, wann immer sie es sich erlauben konnte, um sich für ein paar Minuten in die Kathedrale zu setzen und zu sich zu kommen, nachzudenken. Sie brachte Sorgen um einige ihrer Patienten und deren Probleme mit und ließ sie im Frieden und in der Heiligkeit des Gebäudes zurück. Sie hatte neue Patienten, alte, die mit neuen Problemen kamen, noch nichts Dramatisches. Sie verwendete ihre Energie darauf, sich gegen ein paar Veränderungen zur Wehr zu setzen, lernte, sich mit anderen abzufinden, kämpfte gegen das System. Chris, der sich von seinen enormen Schwierigkeiten mit dem Jetlag noch immer nicht erholt hatte, verweigerte jede Diskussion, wollte keine Kompromisse schließen und war ungewöhnlich reizbar. Doch sie war fest entschlossen, an einer Front zu gewinnen, entschlossen, ein paar Nächte Rufbereitschaft zu machen und ihre eigenen Patienten aufzusuchen, wenn sie es am dringendsten brauchten. Alles würde sich fügen.
Sie schloss die Augen. Ihre Mutter war wieder da und fachte das Feuer mit einer Handvoll Stöcke an.
»Was würdest du tun, Ma?« Und die Stimme antwortete: »Was dir dein berufliches Gewissen diktiert, natürlich – gemildert durch gesunden Menschenverstand. Und sag nicht Ma zu mir!«
Cat lächelte. Schritte im Gang neben ihrer Kirchenbank. Sie schaute auf und nickte dem Kirchendiener zu. Der Geruch nach tropfendem Kerzenwachs erreichte sie auf seinem geisterhaften Weg durch das Kirchenschiff. Sie senkte den Kopf, betete kurz und ging. Wie immer blieb sie stehen, um die Pracht des Fächergewölbes über sich und am oberen Ende der Säulen die Engel aus Stein zu betrachten, die ihre vergoldeten Trompeten bliesen.
Während ihres Aufenthalts in Australien hatte ihr vieles gefehlt, am meisten vielleicht diese Kathedrale.
Als sie in den lauen Abend hinaustrat, brummte ihr Handy, sie hatte eine SMS aus der Praxis erhalten.
Dringend Imogen Hse anrufen betr. Karin M.
Karin McCafferty. Das letzte Mal hatte Cat mit ihr gesprochen, bevor sie nach Australien flogen, doch Karin hatte ihr zwei E-Mails geschickt. Es gehe ihr gut, hatte sie geschrieben, noch immer gut, Ultraschall ohne Befund, zwei Jahre nach ihrer Diagnose sei der Onkologe im Kreiskrankenhaus Bevham »überrascht, aber hoch erfreut«. »Ich wage zu behaupten, dass das auch auf dich zutrifft!«, hatte Karin die Mail beendet.
Karin hatte sich allen Formen orthodoxer Behandlung eines spät erkannten und aggressiven Brustkarzinoms verweigert und sich gegen Cats wohlmeinenden Rat auf eine Reise durch alles begeben, was die ganzheitliche Medizin, Naturheilkunde und alternative Methoden zu bieten hatten – sowohl Bekanntes als auch das, was Chris »hirnrissig« nannte. Karins Mann hatte sie verlassen und war zu einer anderen Frau nach New York gezogen, doch ihr Unternehmen als Gartenarchitektin und Gartenbauexpertin war aufgeblüht, ebenso wie sie selbst. Allen Widrigkeiten zum Trotz und gegen jeden medizinischen Ratschlag hatte sich ihr Gesundheitszustand verbessert und blieb gut.
Chris nannte es einen statistischen Ausreißer, für Karin war es ein Triumph. Cat war einerseits hoch erfreut gewesen, andererseits aber auch wütend. Ihr war schwergefallen, darüber zu reden – und sie hatte Karins letzte E-Mail nur
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