Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Toten tiefes Schweigen

Der Toten tiefes Schweigen

Titel: Der Toten tiefes Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Hill
Vom Netzwerk:
Ereignis fragen wollen.
    Wieder warf er einen Blick auf das Haus. Die Lampen brannten einladend. Sein Vater hatte es jedoch nie verstanden, der Familie das Gefühl zu vermitteln, willkommen zu sein.
    Die Vorhänge in der Küche waren nicht zugezogen, und als Simon aus dem Wagen stieg, tat sein Herz einen Sprung, denn sie war da, er sah sie, sah sie neben dem Schrank stehen, den Arm erhoben, um etwas herunterzuholen, sah sie so klar wie neben der Haustür die beiden Steintröge mit weißen Geranien, die sie dort stets gepflanzt hatte.
    Rasch wandte er den Blick ab, erschrocken. Wie konnte seine verstorbene Mutter dort sein?
    Und als er noch einmal hinsah, war sie es natürlich nicht.
     
    »Simon? Ist mir eine Nachricht von dir entgangen? Ich kann mich nicht erinnern, dass du dich angekündigt hättest.«
    »Ich war in der Nähe. Dachte, ich schau mal vorbei und frage, ob dir dein Urlaub gefallen hat.«
    »Ja, allerdings.«
    Als er seinem Vater in die Küche folgte, erhaschte Simon wieder einen kurzen Blick auf sie, die ihm den Rücken zugewandt hatte. Nur die Frisur war neu. Meriel hatte ihre Haare stets hochgekämmt getragen. Elegant. Immer war sie elegant gewesen. Selbst in der alten Gartenkleidung, elegant.
    Meriel war tot. Meriel war tot, seit …
    »Hallo.«
    Sie drehte sich um.
    Ihre Frisur war ganz anders, und sie war viel jünger. Doch sie war hochgewachsen wie seine Mutter und hatte die gleiche Art zu sprechen. Eigentümlich.
    »Ich glaube, ihr kennt euch noch nicht. Judith Connolly: mein Sohn Simon.« Richard hielt inne, und seine Stimme wurde wie immer einen Hauch sarkastisch. »Detective Chief Superintendent Serrailler. Er ist Polizist.«
    »Ich weiß«, sagte sie. Lächelnd. Kam auf ihn zu. Streckte die Hand aus. »Hallo, Simon. Ich habe mich darauf gefreut, Sie kennenzulernen.«
     
    Es roch nach Essen. Irgendetwas köchelte auf dem Herd. Seit Mutters Tod hatte die Küche an Wärme verloren, die kleinen Spuren, die sie hinterließ. Immer hatten Blumen und blühende Pflanzen auf den Fensterbänken gestanden, am Korkbrett hatten Notizen gesteckt, Erinnerungen an Termine in Meriels unvergleichlicher Schrägschrift und hellblauer Tinte, auf einem Regalbrett neben den Kochbüchern hatte eine Reihe Partituren gestanden, überall hatten Kinderfotos von ihnen neben den neuen von Cats Kindern geklebt. Doch die Pflanzen waren eingegangen und nie ersetzt worden, die Partituren waren an Cat übergegangen. Ein paar Fotos waren heruntergefallen, andere an den Ecken eingerollt. Die Pinnwand war leer. Simon ging nur ungern in die Küche. In ihr vermisste er seine Mutter unerträglich.
    Jetzt fielen ihm ein paar rote Geranien auf der Fensterbank auf, ordentlich in Töpfen mit Untersetzern. Auf dem Tisch stand eine ungeöffnete Flasche Wein. Gläser.
    Wer war das?
    »Ich nehme an, du warst bei deiner Schwester«, sagte Richard.
    »Klar. Sie sind wieder da und voll dabei. Großartig.«
    »Ich werde Catherine morgen anrufen.«
    »Meinst du nicht, du solltest hinfahren, Richard, nicht nur anrufen? Sie werden sich danach sehnen, dich zu sehen.«
    Simon sah von der Frau zu seinem Vater und wieder zurück. Richard sagte: »Oh, das bezweifle ich.« Aber er lächelte.
    »Bleiben Sie zum Abendessen, Simon? Ich habe eine Hühnerpastete gemacht, von der sechs satt werden. Ich koche immer zu viel.«
    Wer war das? Was machte sie, kochte in der Küche seiner Mutter, lud ihn zum Essen ein, sagte seinem Vater, wohin er gehen sollte, wen er treffen sollte? Wer war sie?
    Sie reichte ihm die Weinflasche. »Würden Sie die bitte aufmachen?« Lächelnd. Sie hatte ein warmes Lächeln.
    Sie war etwa Ende vierzig. Groß. Hellbraunes Haar mit ein paar helleren Strähnen. Glatt. Sehr gut geschnitten. Rosa Bluse. Kette aus großen, mandelförmigen Steinen. Großer Mund. Leicht gekrümmte Nase. Wer war das?
    Sein Vater fragte: »Sollen wir hier essen, oder soll ich den Tisch im Esszimmer decken?«
    »Hier ist es so gemütlich. Simon, bleiben Sie doch. Wir langweilen Sie auch nicht mit Schnappschüssen aus dem Urlaub.«
    Urlaub?
    Sein Vater wich Simons Blick aus.
    Simon nahm die Flasche und ging an die Schublade, um den Korkenzieher zu holen, doch sie hatte ihn in der Hand. Reichte ihn herüber.
    Ihr Blick sagte, frag jetzt nicht. Später. Er wird es dir nachher sagen. Dafür werde ich sorgen.
    Er nahm den Korkenzieher entgegen. Sie lächelte.
    Hochgewachsen. Aber nicht wie seine Mutter. Nicht seine Mutter.
    Anstelle seiner Mutter. In ihrem Haus.

Weitere Kostenlose Bücher