Der Totengarten
kehrte noch einmal an den Tatort zurück, sprach mit anderen potenziellen Zeugen, brachte Rhonda Willis wieder zur Dienststelle, rief Diego an und fuhr schließlich mit seinem eigenen Wagen, einem grauen Chevy Tahoe, erneut zum nördlichen Stadtrand, in das Viertel, in dem er wohnte. Er fuhr jedoch nicht direkt nach Hause. Zwar hatte er offiziell Dienstschluss, aber er hatte noch zu tun, ehe er wirklich Feierabend machen konnte.
Das Haus der Johnsons war ein bescheidener Ziegel bau im Kolonialstil, gepflegt, an der Somerset westlich der Coolidge High School gelegen. Auf beiden Straßenseiten waren Fahrzeuge dicht an dicht geparkt. Besucher hatten kurz vorbeigeschaut, den Hinterbliebenen Essen und Beileidsbekundungen gebracht und waren so rasch wieder verschwunden, wie sie gekommen waren. Es würde eine förmliche Totenwache und einen Trauergottesdienst geben, doch Verwandte und Freunde wollten sofort etwas tun. Allerdings wusste niemand so recht, was in einer solchen Situation angemessen war. Ein Auflauf oder eine Lasagne war eine zwar hilflose, aber unverfängliche Geste.
Nachdem Ramone sich erstens als Freund der Familie und zweitens als Polizist vorgestellt hatte, ließ ihn eine ihm unbekannte Frau herein. Im Wohnzimmer saßen mehrere Personen, manche mit den Händen im Schoß, manche in leise Gespräche vertieft, manche stumm. Asas jüngere Schwester Deanna hockte mit ein paar jungen Mädchen – ihren Cousinen, wie Ramone vermutete – im Flur auf der Treppe. Obwohl Deanna nicht weinte, verrieten ihre Augen, wie aufgewühlt sie war.
»Ginny«, stellte sich die Frau vor und schüttelte Ramone die Hand. »Virginia. Ich bin Helenas Schwester. Asas Tante.«
»Ja, Ma’am. Es tut mir furchtbar leid.»Er erkannte Helena in ihrer Schwester wieder – dieselbe kräftige, eher maskuline Statur, der ständig besorgte Ausdruck, als laste das Wissen auf ihr, dass etwas Furchtbares geschehen würde und dass es reine Zeitvergeudung wäre, den Augenblick zu genießen. »Ist Helena schon aus dem Krankenhaus zurück?«
»Sie liegt oben im Bett, die Ärzte haben ihr Beruhigungsmittel gegeben. Helena wollte bei ihrer Tochter sein.«
»Und Terrance?«
»Er ist in der Küche. Mein Mann ist bei ihm.« Ginny legte Ramone eine Hand auf den Arm. »Haben Sie schon etwas herausgefunden?«
Ramone schüttelte knapp mit dem Kopf. »Entschuldigen Sie mich.«
Er ging durch einen kurzen Flur in eine enge Küche im hinteren Teil des Hauses. Terrance Johnson und ein weiterer Mann, hellhäutig wie Smokey Robinson, saßen an einem kleinen Tisch und tranken Dosenbier. Johnson stand auf, um Ramone zu begrüßen. Sie schüttelten sich die Hände, und Ramone klopfte Terrance Johnson auf den Rücken.
»Mein Beileid«, sagte Ramone. »Asa war ein prächtiger junger Mann.«
»Ja«, erwiderte Johnson. »Das hier ist Clement Harris, mein Schwager. Clement, das ist Gus Ramone.«
Clement streckte Ramone die Hand entgegen, ohne aufzustehen.
»Gus’ Junge und Asa waren Freunde«, erklärte Johnson. »Gus ist Polizist. Bei der Mordkommission.«
Clement Harris murmelte etwas.
»Kann ich Ihnen ein Bier anbieten?«, fragte Johnson mit glasigem Blick.
»Danke.«
»Ich nehme noch eins.« Johnson legte den Kopf in den Nacken und trank seine Dose leer. »Nicht dass Sie jetzt denken, ich wollte mich besaufen.«
»Schon okay«, sagte Ramone. »Trinken wir eins zusammen, Terrance.«
Johnson warf die leere Dose in den Müll und nahm zwei volle aus dem Kühlschrank, eine Marke, die Ramone unter normalen Umständen weder gekauft noch getrunken hätte. Als die Kühlschranktür wieder zuschlug, sah Ramone, dass daran mit Magneten Fotografien der Johnson-Kinder befestigt waren: Deanna im Schnee, Deanna im Gymnastikanzug, Asa mit ernstem Gesicht in Trikot und Schulterpolstern nach einem Spiel, einen Football in der Hand.
»Lassen Sie uns ein bisschen rausgehen«, sagte Johnson zu Ramone, und als dieser nickte, blieb Clement allein am Küchentisch zurück.
Von der Küche aus führte eine Tür in den kleinen Garten hinter dem Haus, der an eine Seitengasse grenzte. Offenbar interessierten sich weder Johnson noch seine Frau für Gartengestaltung. Der Boden war unkrautüberwuchert, Mülltonnen und Getränkekisten standen herum, und ein rostiger Maschendrahtzaun umgab das Grundstück.
Ramone riss seine Dose auf und trank. Das Bier schmeckte nach Wasser und hatte wahrscheinlich kaum eine andere Wirkung. Er und Johnson blieben auf halbem Weg zur Straße
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