Der Totenleser
weiches Seidenfähnchen, denn keineKonkubine, keine Kurtisane, keine Prostituierte des Reiches war in der Lage, ihm zu geben, was ich ihm gegeben hatte.«
Ci lauschte stumm ihren Worten. Er langte nach ihrer Hand, in dem Wunsch, sie zu trösten, doch im letzten Moment hielt er sich zurück.
»Ihr braucht nicht fortzufahren«, sagte er schließlich.
»Trotzdem blieb ich an seiner Seite«, fuhr sie fort, als hätte sie ihn nicht gehört. »Er ernannte mich zur Nüshi , damit ich seine neuen Konkubinen in der Liebeskunst unterwies. Und das tat ich, um ihm nahe zu sein und seinen Verfall zu beobachten. Um ihn altern und zugleich verrückt werden zu sehen. Als dann sein Sohn Nin Zong den Thron bestieg, änderte ich meine Strategie. Der neue Kaiser schenkte mir vollkommene Nichtachtung, und ebenso behandelte ich ihn. Ich blieb am Hof bis zum Tod meines Vaters. Ich konnte ihn nicht beerben, solange ich im Palast blieb, aber zu der Zeit lernte ich Feng kennen.«
Ci sah sie an. Ihre Tränen waren getrocknet. Er schenkte ihr ein wenig Likör ein.
»Und was geschah dann?«, fragte er.
»Darüber will ich nicht sprechen.« Ihre Antwort kam hart wie ein Hammerschlag.
Sie saßen eine Weile schweigend da. Dann stand sie auf, entschuldigte sich und zog sich in ihre Gemächer zurück.
Ci blieb vor dem Likör sitzen, durch seinen Kopf wirbelte ein Strudel von Wünschen und Gedanken. Er griff nach der Flasche und nahm einen Schluck. Er dachte an Feng. Er dachte an Blaue Iris. Alles drehte sich. Er umklammerte die Flasche und ging damit auf sein Zimmer.
Um Mitternacht weckte ihn ein seltsames Geräusch. Ci rieb sich die Schläfen. Sein Schädel pochte, als hätte man ihn miteiner Keule malträtiert. Die leere Likörflasche stand eine Handbreit vor seinem Gesicht. In der Dunkelheit nahm er das Geräusch von Schritten wahr, konnte sie jedoch nicht orten. Sein Puls beschleunigte sich. Er rührte sich nicht.
Und plötzlich spürte er ihren Atem. Sie hob das Laken an, unter dem er lag, und schlüpfte anmutig darunter. Ci versuchte zu begreifen, was in diesem Moment geschah. Etwas in ihm wollte es verhindern. Doch etwas Stärkeres verlangte danach, ihre Haut zu berühren. Er stöhnte leise.
Er konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Ihr Duft raubte ihm den Verstand. Plötzlich spürte er, wie ihre Hand über sein Bein glitt und sich langsam hochtastete. Er atmete tief ein und betete, dass sie gehen würde, und gleichzeitig, dass sie blieb. Ihre Brust legte sich auf seine, ihr Atem streichelte warm seinen Hals.
Eine schreckliche Angst lähmte ihn, reglos empfing er ihre Liebkosungen. Er war gehemmt wegen seiner Narben, doch er ließ sich von der Wärme einhüllen, die ihr Körper verströmte. Seine Hände suchten ihre, fassten sie, und dann erforschten seine Lippen ihre honigsüße Haut. Sanft, dann immer fordernder saugte er an ihrer Brust, als müsste er einen Durst stillen, der so alt war wie das Leben selbst. Sie wand sich unter ihm, drückte ihn an sich. Keuchend versicherten sie sich ihrer Leidenschaft. Langsam fuhr sie mit ihrer Zunge über seinen Bauch, über die Narben hinweg bis zu seinem harten Jadeschwert. Als sie es mit ihrem Mund umschloss, glaubte Ci zu sterben. Sie nahm seine Hand und führte sie stöhnend zu ihrer tropfnassen Lusthöhle. Er richtete sich auf, wollte in sie eindringen, doch sie hielt ihn zurück. Langsam schob sie sich auf ihn, bis sie rittlings auf ihm saß. Mit einer Hand hielt sie ihm die Augen zu. Mit der anderen umfasste sie die Spitze seines wild pochenden Geschlechts. Ci keuchte.Er befreite seine Augen von der Hand, die ihn blind machte, fasste ihre pfirsichzarten Hinterbacken und stieß lustvoll seinen Liebesdolch in sie hinein.
»Das ist nur gerecht«, flüsterte sie an seinem Ohr.
»Gerecht«, keuchte Ci und erlaubte, dass ihre Hand abermals seine Lider schloss.
Iris bäumte sich auf, tanzte auf ihm, immer wilder, immer schneller und raubte ihm alle Sinne. Er spürte, wie sie bebte, während er die Kontrolle verlor und sich in ungestümen Stößen in ihr ergoss.
Bevor sie sich von ihm löste, schmeckte Ci den salzigen Geschmack von Tränen, die aus ihren blinden Augen liefen. Er sagte sich, dass es Freudentränen waren.
Doch da irrte er sich.
Als er am nächsten Morgen aufwachte, war sie schon nicht mehr da. Er fragte die Dienerin nach dem Verbleib seiner Gastgeberin, doch die vermochte keine Auskunft zu geben.
Er frühstückte in demselben kleinen Saal, in dem sie am Abend zuvor
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