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Der Totenleser

Der Totenleser

Titel: Der Totenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Garrido
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Zuneigung zu Männern bezeichnen? Ist es nicht wahr, dass Euch vor drei Jahren ein Junge namens Liao-San beschuldigt hat, übergriffig geworden zu sein?«
    »Das war eine abscheuliche Lüge!«, verteidigte sich Ming. »Der Junge versuchte mich zu bestechen, damit ich ihn durchkommen ließ, und als ich mich weigerte …«
    »Aber Fakt ist doch, dass man Euch nackt mit ihm überrascht hat«, unterbrach Grauer Fuchs den Professor.
    »Ich wiederhole, das war eine Verleumdung! Es war Sommer, und ich schlief in meinem Zimmer. Er betrat es ohne Erlaubnis und zog sich aus, um mich zu erpressen.«
    »Sicher, sicher …«, schnaufte der Graue ironisch und studierte den Zettel, den Feng ihm zugeschoben hatte. »Ich lese hier außerdem, dass man Euch vor zwei Jahren in Begleitung eines bekannten Homosexuellen gesehen hat. Offenbar gabt Ihr ihm Geld beim Betreten eines berüchtigten Gasthauses. Und die Lehrerversammlung forderte auf dieses Ereignis hin Euren Abschied als Direktor.«
    »Der, den Ihr einen Homosexuellen nennt, war mein Neffe«, entgegnete Ming. »Und das Lokal, das wir betraten, warder Ort, an dem er logierte, ein respektables Gasthaus. Seine Familie hatte mich gebeten, ihm Geld zu geben, und ich ging hin, um das zu tun. Das hat die Lehrerversammlung auch überprüft …«
    »Verleumdungen, Erpressungen, Beleidigungen …« Grauer Fuchs schüttelte den Kopf. »Trotz Eurer Jahre würde ich sagen, dass Ihr Euch gut gehalten habt. Seid Ihr verheiratet, Ming?«
    »Nein. Das wisst Ihr doch.«
    »Habt Ihr nie einer Frau den Hof gemacht?«
    Ming sah den jungen Richter fassungslos an.
    »Ich … ich bin kein lasterhafter Mensch … ich bin nur …« Er verstummte.
    »Aber Ihr fühlt Euch zu Männern hingezogen?«
    »Ich habe nie …«
    »Ich versuche Euch zu verstehen, Ming.« Er ging zu ihm und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Wenn es keine Lasterhaftigkeit ist, wie würdet Ihr es nennen? Liebe vielleicht?«
    »Ja«, sagte Ming leise. »Ist es ein Verbrechen, zu lieben?«
    »Nein, das glaube ich nicht. Liebe ist unbedingte Hingabe, ohne etwas im Austausch zu verlangen, nicht wahr?«
    »So ist es.«
    »Und für die Liebe würde man alles tun.«
    Ming blickte Ci an.
    »Alles«, bestätigte er.
    »Danke, Professor Ming«, schloss Grauer Fuchs.
    Beschämt saß der Professor da, und Ci bereute es, ihn um seine Aussage gebeten zu haben. Der Graue hingegen schien hochzufrieden. Zwei Wachen wollten Ming gerade zurück ins Krankenzimmer führen, als Grauer Fuchs sie zurückhielt, als wäre ihm gerade ein Einfall gekommen.
    »Eine letzte Frage, Professor.« Er sah ihm in die Augen und machte eine lange Pause. »Seid Ihr in Ci verliebt?«
    Ming wurde leichenblass. Dann wandte er seinen traurigen Blick zu Ci.
    »Ja«, antwortete er und wurde hinausgeleitet.
    Ci verwünschte die niederträchtige Strategie des Grauen. Da er keine besseren Argumente besaß, hatte er die Glaubwürdigkeit Mings untergraben, indem er den Abscheu nutzte, den die Homosexualität des Professors unweigerlich bei den Versammelten hervorrufen würde. Und schlimmer noch: indem er die Liebe des alten Mannes zu Ci bloßstellte.
    Als er sich beruhigt hatte, bat Ci darum, Xu befragen zu dürfen, doch Grauer Fuchs versuchte es zu verhindern, als hinge sein Leben davon ab.
    »Majestät«, rief er. »Der Angeklagte will Eure Intelligenz beleidigen. Xus Aussage war ebenso beweiskräftig wie die Aussage von Professor Ming haltlos. Der Wahrsager hat bekräftigt, dass er Ci dabei beobachtet hat, wie er den Fahnder ermordete. Inzwischen hat er mit Eurer Erlaubnis den Saal verlassen, ihn wieder herzuholen würde eine unnötige Verzögerung des Prozesses bedeuten.«
    Ci bekam am eigenen Leib das Talent des Grauen zu spüren. Anstatt an die Vernunft zu appellieren, suggerierte der Richter dem Kaiser, dass der Angeklagte ihn nicht ernst nahm. Obwohl dieses Vorgehen absehbar war, traf ihn die Zurückweisung seiner Bitte durch den Kaiser wie eine Ohrfeige.
    »Dann bitte ich Eure Majestät, mir zu erlauben, die Aussagen der beiden Männer zu hören, die den Fahnder gefunden haben«, wagte Ci zu erwidern.
    Nin Zong besprach sich mit seinen beiden Beratern, bevor er zustimmte. Es war keine weitere Unterbrechung dafürnotwendig, denn die beiden Männer, die Kao aus dem Kanal gefischt hatten, waren von Grauer Fuchs vorgeladen worden. Nachdem sie ihre Identität bestätigt hatten, begann Ci, sie zu vernehmen.
    »Soweit ich weiß, besteht eure Aufgabe darin, Runden am Kanal zu

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