Der Totenleser
er.
»Habt Ihr deshalb nicht erlaubt, dass mein Vater zurückkehrte? Damit Ihr weiter Salzposten unterschlagen konntet? Habt Ihr deshalb auch den Eunuchen aus dem Weg geräumt? Weil er es ebenfalls entdeckte?«, rief Ci.
Feng wich erschrocken ein paar Schritte zurück.
»Wie kannst du es wagen, du Unwürdiger? Nach allem, was ich für dich getan habe!«
»Ihr habt meinen Vater betrogen! Ihr habt mich betrogen … Uns alle habt Ihr betrogen! Und trotzdem wagt Ihr es, Dankbarkeit zu fordern?« Ci riss an seinen Ketten, doch sie gaben nicht nach.
»Dein Vater? Dein Vater hätte mir die Füße küssen sollen. Ich habe ihn aus dem Elend gerettet! Und dich habe ich wie einen Sohn behandelt«, klagte er.
»Beschmutzt nicht den Namen meines Vaters!«
»Aber verstehst du denn nicht? Ich habe dich unterrichtet, ich habe dir alles beigebracht, wie einem Sohn, den ich nie hatte!« Feng streckte eine zitternde Hand aus, um Cis Gesicht zu streicheln. »Ich habe dich immer beschützt. Ich habe sogar dafür gesorgt, dass du nach der Explosion am Leben bliebst! Was glaubst du, warum nur sie gestorben sind? Ich hätte auch warten können, bis du zurück warst …« Ci spürte, wie es ihn bei diesen Worten zerriss. Die Welt um ihn herum stürzte zusammen.
»Welche Explosion … Was wollt Ihr damit sagen?«, stammelte er. »Was heißt das, ›warum nur sie gestorben sind‹?«
Feng machte Anstalten, Ci zu umarmen.
»Mein Sohn«, schluchzte er.
In dem Moment gelang es Ci, ihn am Ärmel zu fassen. Er legte die Kette um seinen Hals und begann ihn zu würgen. Feng zappelte und röchelte, während Ci die Kette mit ganzer Kraft zusammenzog. Das Gesicht des alten Richters wurde langsam blau. Ci zog immer fester an der Kette, bis die Wache sich entsetzt auf ihn stürzte.
Das Letzte, was Ci hörte, bevor er die Besinnung verlor, waren die keuchenden Verwünschungen Fengs. Er drohte ihm mit der schlimmsten Folter.
35
Der Wachmann dachte, dass es die Mühe nicht wert war, ihn für die Hinrichtung wieder zu Bewusstsein kommen zu lassen, doch gehorchte er seinem Vorgesetzten und schüttete mehrere Eimer Wasser über dem blutigen Gesicht des Gefangenen aus.
Verschwommen nahm Ci wahr, wie sich jemand zu ihm herabbeugte.
»Du solltest besser auf dich aufpassen«, hörte er Fengs Stimme. »Nimm das und mach dich sauber.« Der Richter hielt ihm ein Baumwolltuch hin.
Ci stöhnte. Allmählich gelang es ihm, die geschwollenen Lider zu öffnen. Neben ihm saß Feng, lauernd, wie jemand, der ein krepierendes Insekt beobachtet, nachdem er darauf getreten ist. Ci versuchte sich zu bewegen, doch die Ketten hielten ihn an der Wand gefesselt.
»Es tut mir leid, wie brutal diese Wachleute mit dir umgesprungen sind. Manchmal können sie Menschen nicht von Tieren unterscheiden. Doch es ist ihre Arbeit, und man darf es ihnen nicht vorwerfen. Willst du ein bisschen Wasser?«
Widerstrebend nahm Ci das Wasser an, denn seine Eingeweide brannten. Es schmeckte wie Gift.
»Weißt du, ich muss zugeben, dass mich dein Scharfsinn immer sehr beeindruckt hat. Doch heute hast du dich selbst übertroffen«, fuhr Feng fort. »Und das ist ein Jammer, denn wenn du es dir nicht noch anders überlegst, wird ebendiese Klugheit dich an den Galgen bringen.« Der alte Richter lächelte wie eine Hyäne.
»Dieselbe Klugheit, die Ihr dazu missbrauchtet, meinen Bruder zu beschuldigen, verdammter Bastard?«
»Ach, das hast du auch herausgefunden? Endlich. Nun malehrlich, von Fachmann zu Fachmann: Du wirst mir zustimmen, dass dieser Schachzug brillant war. Dein Bruder war das ideale Opfer: die dreitausend Qian, die einer meiner Männer an ihn in einer abgekarteten Wette verlor … Der Austausch der Geldschnur, nachdem Lu gefangen genommen war, das Betäubungsmittel, das wir ihm verabreichten, damit er sich bei der Verhandlung nicht verteidigen konnte. Und nicht zu vergessen das wichtigste Detail: die Klinge, die wir ihm entwendeten und mit Blut beschmierten, damit ein paar unschuldige Fliegen sein Schicksal besiegelten.«
Während Feng über seine eigene Schlauheit ins Schwärmen geriet, kämpfte Ci gegen Übelkeit und Brechreiz an.
»In jedem Fall scheint es, dass das Herumschnüffeln in fremden Büchern in der Familie liegt«, hörte er ihn sagen. »Deinem Vater reichte es nicht, meine Abrechnungen zu kontrollieren, er stellte Nachforschungen an. Ich musste ihn ein wenig unter Druck setzen. Allerdings reichte es nicht, dass Lu wegen des Mordes an Shang verurteilt wurde.
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