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Der Totenleser

Der Totenleser

Titel: Der Totenleser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonio Garrido
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eintätowierteYin-Yang-Zeichen unter seinem Daumen verrieten mir seine Identität und seine Arbeit mit den Komponenten von Schießpulver. Als Feng die versprochenen Zahlungen nicht leisten konnte, rebellierte der alte Alchemist. Sie diskutierten, der Mönch drohte mit der Aufdeckung des Geschäfts, woraufhin Feng mit der Waffe auf ihn schoss, die der Mönch selbst mit hergestellt hatte. Die Steinkugel drang in die Brust ein, durchschlug eineRippe, trat an der Schulter wieder aus und blieb in einem Holzobjekt stecken. Um jedes Indiz zu vermeiden, das ihn belasten könnte, steckte Feng nicht nur die Kugel wieder ein, sondern er tarnte auch den typischen Krater, den ein Projektil hinterlässt, indem er die Einschusswunde erweiterte, bis sie aussah wie das Ergebnis eines makaberen Rituals.« Ci machte eine kurze Pause. Er konnte sich kaum mehr auf den Beinen halten. »Einen Tag später war der Sprengmeister an der Reihe, ein junger Mann, den ich dank der seltsamen Narben identifizieren konnte, die ihm eine frühere Explosion zugefügt hatte, und den Feng aus ähnlichen Gründen durch einen Dolchstoß ins Herz ermordete. Bo hat mir bestätigt, dass die Sprengmeister mit einem Augenschutz arbeiten, was erklärt, warum ebendiese Partie des Gesichts nicht vernarbt war. Nachdem er ihn getötet hatte, vergrößerte Feng die Stichwunde in der Brust, bis sie genauso aussah wie die am Leichnam des Alchemisten.
    Bei Sanfter Delphin musste Feng anders vorgehen. Die plötzliche Abwesenheit des Eunuchen hätte Aufsehen erregt, und so versuchte er zunächst, ihn zu bestechen. Da er wusste, mit welcher Leidenschaft Sanfter Delphin Antiquitäten sammelte, versuchte er sich sein Schweigen mit einer antiken kalligraphierten Poesie von unschätzbarem Wert zu erkaufen. Zunächst akzeptierte der Eunuch, doch später, als er das Ausmaß von Fengs Vorhaben ermessen konnte, weigerte er sich, die Sache weiter zu decken. Also erstach ihn Feng, trotz des Risikos, das dieser Mord für ihn mit sich brachte. In dem Bewusstsein, dass der Tod des Eunuchen eine belastende Untersuchung auslösen würde, verstümmelte er den Leichnam wiederum in der Weise, wie er es schon bei seinen ersten beiden Opfern getan hatte.
    Zuletzt nahm er dem Bronzefabrikanten das Leben, demMann, der die Handkanone konstruiert hatte. Er tat es nach dem Empfang, der in Euren Gärten stattfand, Majestät. Das beweist die Untersuchung der Erde, die ich unter seinen Fingernägeln fand. Er erstach ihn, und mit einem Gehilfen schleifte er ihn bis zu seinem Tragsessel, enthauptete ihn schließlich und ließ die Leiche auf der anderen Seite der Mauer liegen.
    Feng enthauptete oder entstellte seine Opfer, um eine Identifizierung zu verhindern, und er fügte ihnen seltsame Wunden in der Brust zu, um das Ritualverbrechen einer kriminellen Sekte vorzutäuschen.«
    Als Ci mit dem Bericht seiner entsetzlichen Offenbarungen geendet hatte, entstand eine unheimliche Stille im Saal.
    »Deiner Meinung nach trägt dieses kleine Gerät also eine enorme Vernichtungskraft in sich …«, sagte der Kaiser mit tonloser Stimme.
    Ci nickte langsam. »Stellt Euch jeden Soldaten mit so einem Gerät ausgerüstet vor. Das wäre die größte Macht, die der menschliche Geist sich überhaupt vorstellen kann.«
    Der Kaiser ließ sich Zeit, ehe er Feng das Wort zur Verteidigung erteilte. Als der älteste Würdenträger den Richter schließlich aufforderte, Stellung zu beziehen, zeigte Feng, zitternd vor Wut, auf Ci.
    »Majestät! Ich verlange, dass dieser Angeklagte unverzüglich für seine Anschuldigungen bestraft wird, die Euch direkt betreffen! Nie zuvor hat man in diesem Gericht eine vergleichbare Provokation erlebt. Keiner Eurer Vorgänger auf dem Thron hätte dies jemals geduldet!«
    »Lasst die Toten in Frieden und hütet Eure Zunge!«, warnte ihn Nin Zong.
    »Kaiserliche Hoheit, der Unwürdige, der sich der Totenleser nennt, ist in Wirklichkeit ein Meister der Lüge. Er willdenjenigen anklagen, der Euch stets mit Ergebenheit diente. Er verschleiert die Wahrheit und verfälscht sie, mit dem einzigen Ziel, seiner Strafe zu entgehen. Worauf gründen sich seine Beschuldigungen? Wo sind die Beweise? Seine Worte sind wie Feuerwerk, so flüchtig wie das angebliche Pulver, von dem er spricht. Tragbare Kanonen? Ich sehe nichts anderes als eine Bronzeflöte. Und womit soll sie schießen? Mit Reiskörnern? Mit Kirschkernen?«
    »Beruhigt Euch, Feng. Ohne dass damit Eure Schuld bewiesen wäre, scheinen die Worte des

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