Der Totenleser
handelte. Ungewollt war er an den Ort gelangt, wo die Schnitter ausden Vororten ihre Stände aufbauten, spezialisierte Barbiere, die für einen bescheidenen Betrag arme junge Burschen zu künftigen Eunuchen des Kaisers machten. Er wusste es, weil er gemeinsam mit Feng die Leichen von Dutzenden solcher Kinder gesehen hatte, die vom Fieber verzehrt, am Wundbrand gestorben oder einfach verblutet waren wie Zicklein mit durchschnittener Kehle. Und dem Aussehen des Barbiers und seines abgenutzten Instrumentariums nach deutete alles darauf hin, dass dieser Junge ebenfalls bald auf einem Friedhof landen würde.
Ci schob zwei Bettler zur Seite und drängte sich zwischen das Publikum in der ersten Reihe. Was er sah, ließ ihn erbleichen.
Der Barbier, ein zahnloser, nach Schnaps stinkender Greis, hatte die Genitalien des Jungen mit einem Schnitt abzutrennen versucht, doch statt der Hoden einen Teil des kleinen Penis abgeschnitten. Ci ging davon aus, dass der Alte den Eingriff auf keinen Fall erfolgreich zu Ende bringen würde. Jetzt musste er den Penis in die Amputation einbeziehen, und das war eine Operation, die mehr Geschick erforderte, als die zittrigen Hände des Greises aufzubringen schienen. Während das Kind brüllte, als würde es in der Mitte zerteilt, näherte Ci sich der Frau, die seine Mutter sein musste und die ihren Sohn schluchzend anflehte, ruhig zu bleiben. Ci zweifelte am Sinn dessen, was er zu tun gedachte, doch schließlich wagte er es.
»Gute Frau, wenn Sie zulassen, dass dieser Mann weitermacht, wird Ihr Kind unter seinen Händen sterben.«
»Hau ab!«, stieß der Greis hervor und fuchtelte mit dem blutigen Messer in der Luft herum.
Ci wich zurück und bohrte seinen Blick in die glänzenden Augen des Barbiers. Der Mann hatte zweifellos schon denletzten Qian dessen, was man ihm für seine Arbeit bezahlt hatte, vertrunken.
»Du bist doch schon ein großer Junge und wirst nicht weinen, stimmt’s?«, brabbelte er.
Das Kind nickte tränenüberströmt.
Der Alte rieb sich die Augen und versuchte, die Blutung zu stillen, während er den fehlerhaften Schnitt auf eine Bewegung des Jungen schob. Der Schnitt, sagte er, habe die Harnröhre getroffen, was ihn dazu zwinge, die Amputation auszuweiten. Er holte aus seinem Instrumentenbeutel einen Strohhalm hervor und beschmierte den blutigen kleinen Penis mit einer scharfen Tinktur.
Ci schüttelte den Kopf. Offenbar hatte der Barbier den Blutfluss gestoppt, aber selbst dann musste er sich beeilen, wenn er nicht wollte, dass der Junge ihm unter der Hand starb. Ci beobachtete, wie der Greis mit einer schmutzigen Binde den Penis und die Hoden des Kleinen umwickelte. Das Kind schrie auf, doch der Barbier zeigte keine Regung und fragte den Vater, ob er wirklich entschlossen sei. Die Frage war vorgeschrieben, denn die Kastration würde den Jungen nicht nur für den Rest seiner Tage in ein geschlechtloses Wesen verwandeln, sondern ihn nach den konfuzianischen Lehren auch bis über das Grab hinaus verfolgen und seine Totenruhe unmöglich machen.
Der Vater nickte.
Der Barbier holte tief Luft. Dann nahm er einen kleinen Zweig und steckte ihn dem verängstigten Jungen zwischen die Zähne. Er sagte ihm, er solle mit aller Kraft zubeißen.
»Und ihr, haltet ihn fest.«
Nachdem er sich überzeugt hatte, dass alle bereit waren, drückte er den Verband mit den Genitalien an die rechte Leiste, hob das Messer, atmete ein und ließ den Arm hinuntersausen,so dass die Hoden und der Penis mit einem einzigen Schnitt abgetrennt wurden, während ein markerschütternder Schrei erklang. Sofort übergab er das amputierte Glied dem Vater zur Aufbewahrung und ging daran, das Blut mit einigen in Salzwasser getauchten Tüchern einzudämmen. Dann steckte er einen Strohhalm in die Harnröhre, um zu verhindern, dass sie sich schloss, verband achtlos die Venen miteinander, vernähte die Ränder der Wunde und hüllte den Unterleib des Jungen in Binden.
Als der Barbier das Ende der Operation bekannt gab, brachen die Angehörigen in Freudentränen aus.
»Er ist vor Schmerz ohnmächtig geworden, aber er wird sich bald erholt haben«, versicherte er ihnen. Außerdem belehrte er den Vater, dass das Kind zwei Stunden lang umhergehen müsse. Danach müsse es drei Tage ruhen, bevor der Strohhalm entfernt werden dürfe. Wenn es normal urinieren könne, sei die Sache erledigt.
Ohne zu überprüfen, ob die Binde den richtigen Druck ausübte, sammelte er seine Instrumente ein und steckte sie wieder in
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