Der Totenleser
säumte. Doch musste er schließlich erkennen, dass sich in diesem Raum niemand versteckt hielt. Er brüllte wie ein verwundetes Tier. Dann trat er wieder hinaus und packte Xu am Kragen.
»Verdammter Lügner! Sag mir jetzt sofort, wo der Kerl ist, oder mein Freund hier geht dir an die Gurgel.« Der Hund fletschte die Zähne.
Xu schwor Stein und Bein, dass er es nicht wüsste. Kao umklammerte seinen Nacken noch ein wenig fester.
»Ich werde dich Tag und Nacht beobachten, und wenn der Bursche zurückkehrt, um dir bei deinen abscheulichen Machenschaften zu helfen, werde ich dafür sorgen, dass du es für den Rest deines Lebens bereust.«
»Verehrter Herr«, stammelte Xu, »ich habe den Jungen nuraus Mitleid eingestellt. Ich habe mir seine besonderen Fähigkeiten und die Verkleidung ausgedacht, um die Unbedarften an der Nase herumzuführen, aber ich war es, der ihm zuflüsterte, was er sagen sollte. Deshalb habe ich mir auch einen neuen Helfer gesucht.« Er wies auf den Gärtner, der nicht weit von ihnen sprachlos vor sich hin zitterte. »Dieser Bursche kommt nicht wieder. Ich habe Euch ja schon gesagt, dass er mich bestohlen hat. Und wenn er zurückkommt, werde ich ihm höchstpersönlich die Augen auskratzen.«
Kao presste die Kiefer aufeinander und verließ, eine Flut von Verwünschungen ausstoßend, den Friedhof.
* * *
Als Ci ihm erzählte, wie er den Gärtner dazu gebracht hatte, sein Kostüm anzulegen, musste Xu lachen.
»Aber wie, verflixt noch mal, hast du es angestellt, dass er dich nicht gefunden hat?«
Den Schrecken noch in allen Gliedern, berichtete Ci, dass er, als er in der Falle saß, vor dem hinteren Fenster den Gärtner entdeckt und ihn mit Hilfe einer beträchtlichen Summe überzeugt habe, sich als Magier zu verkleiden.
»Und dann ließ ich ihn den Sarg zunageln, in dem ich mich versteckte, damit es so aussah, als wäre er verschlossen.«
Während Xu immer noch lachte, zahlte Ci dem Gärtner das vereinbarte Geld aus.
»Der Kerl ist hier aufgetaucht wegen der Geschichte mit dieser Perlenbrosche«, sagte Xu schließlich. »Der Junge, der dich angezeigt hat, muss dich als einen verkleideten jungen Mann mit verbrannten Händen beschrieben haben, und die Beschreibung hat Argwohn geweckt.« Der Wahrsager musterte Ci streng. »Ich finde, es ist an der Zeit, dass du mir erklärst,warum du gesucht wirst.« Xu vergewisserte sich, dass der Gärtner nicht zuhörte, und setzte dann hinzu: »Du kannst von Glück reden, dass die Summe, die der Typ mir als Belohnung in Aussicht gestellt hat, nicht so hoch war wie das, was wir mit deinen Auftritten verdienen.«
Ci schwieg. Die Wechselfälle, die er seit dem tragischen Ende seiner Familie durchlitten hatte, waren nicht nur schwer zu erzählen, sondern auch kaum zu glauben. Außerdem hatte Xu etwas an sich, das ihn misstrauisch machte. Er gehörte zu den Menschen, die einem ein Glas mit schmutzigem Wasser anboten und behaupteten, es sei Wein.
»Ich sollte besser verschwinden«, überlegte Ci.
»Kommt nicht in Frage«, lehnte Xu entschieden ab. »Wir tauschen das Kostüm gegen ein weniger auffälliges. Und wir wählen die Toten besser aus. Mehr noch: So wie du es im Kloster gemacht hast, werden wir unsere Kunden einschüchtern, damit sie das Geheimnis für sich behalten. Ich bin nicht ehrgeizig.« Er grinste. »Vorerst haben wir genug Kundschaft, um ein paar Monate hinzukommen.«
Die Worte hinterließen bei Ci einen schalen Beigeschmack. Xu hatte, seit Ci für ihn arbeitete, seinen eigenen Worten zufolge mehr Geld eingenommen, als er mit den Grillen in einem ganzen Jahr verdiente. Und Ci ahnte plötzlich, dass Xu ihn, solange die Geschäfte gut liefen, niemals gehen lassen würde.
»Ich weiß nicht, Xu. Ich möchte dich nicht mit in meine Probleme hineinziehen«, sagte Ci.
»Deine Probleme sind meine Probleme«, versicherte ihm Xu. »Und deine Einnahmen ebenfalls.« Er kicherte. »Also, Schluss mit dem Gezaudere.«
Widerwillig erklärte Ci sein Einverständnis, und Xu klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter.
Als Mei Mei jedoch einige Tage später einen Rückfall erlitt, musste Ci feststellen, dass seine Probleme durchaus nicht die des Wahrsagers waren.
Eines kalten Morgens beschwerten sich Xus Frauen, Mei Mei sei nichts weiter als eine Belastung. Das Mädchen lerne nichts, denke ständig an etwas anderes, verwechsele die Garnelen mit den Krabben und esse zu viel. Außerdem müssten sie auf sie aufpassen und ihren Zustand beobachten, der sich von
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