Der Totenmeister: Thriller (German Edition)
allein und leer, beinah verletzlich.
Er schloss die Augen. Kurz darauf war er eingeschlafen.
Vier Stunden später wachte er auf und fühlte sich ein wenig erholt. Es war dunkel und heiß, und im Zimmer roch es nach Regen. Das Gewitter hatte sich entladen, während er geschlafen hatte, aber es lag noch mehr in der Luft.
Er trat auf den Balkon. Die rosafarbenen Gehwege des Drive waren nass, trockneten aber schnell. Sie waren voll von Menschen, ahnungslosen Touristen, die beklaut werden wollten, und allen möglichen Sonderlingen auf der Suche nach einem billigen Kick. Von rechts und links hörte er das übliche Sperrfeuer aus spanischem Gesang und spanischem Geschrei.
Max stieg unter die Dusche, rasierte sich und putzte sich die Zähne. Dann zog er ein hellblaues Hemd, eine schwarze Hose und Lederslipper an und ging aus dem Haus.
25
In der Klublandschaft Miamis war das La Miel seit jeher Max’ Lieblingslokal gewesen. Es befand sich im Airport Hilton auf dem Blue Lagoon Drive. Es gab keine bessere Adresse, um Frauen kennenzulernen, die man nie wiedersehen würde, weil die Hälfte der Gäste nur auf der Durchreise war, meistens Stewardessen ausländischer Fluggesellschaften. Ihnen musste er über seinen Beruf keine Lügen erzählen. Vielmehr war es ein Pluspunkt im Baggerspiel: Sobald sie hörten, dass er Polizist war, kanalisierten sie alle ihre Starsky & Hutch -Fantasien auf ihn und waren plötzlich ganz hin und weg und verschüchtert, und von da war es nur noch ein kleiner Schritt vom Klub ins Hotelzimmer.
Mindestens seit 1968 war Max Klubgänger, dabei konnte er nicht für fünf Cent tanzen – seine Bewegungen waren entweder eine verzerrte Imitation dessen, was er die Männer um sich herum tun sah, oder er wiegte sich einfach nur von einem Fuß auf den anderen, was mehr mit der Beinarbeit eines Boxers gemein hatte als mit fetzigen Tanzschritten. Den Aufstieg des Disko hatte er begrüßt, das »Theme from Shaft« und die davon inspirierten fünfzehnminütigen Songs im Viervierteltakt, mit simplen Bassrhythmen und inhaltsleeren, eindeutig zweideutigen Texten. Er war ein Fan davon geworden, und er war ein Fan von Diskos. Großartige Schmelztiegel waren das gewesen, wo Schwarze, Weiße und Latinos einzig und allein mit dem Ziel zusammengekommen waren, sich zu amüsieren, und alle waren miteinander ausgekommen: Dr. Kings Traum in Satin und Pailletten, auf Plateauschuhen und sehr, sehr viel Kokain. Nie war es leichter gewesen, schwarze Frauen kennen zu lernen, was für Max der Hauptgrund gewesen war, so oft in so viel Diskotheken zu gehen. Doch dann kam Saturday Night Fever und hatte alles kaputtgemacht. Danach waren die Diskos von hirnlosen Idioten in weißen Anzügen zum schwarzen Hemd heimgesucht worden, die den Johnnie Travolta gaben, während alle Frauen nur noch rote Kleider trugen und mit falschem New Yorker Akzent sprachen. Die Gegenbewegung hatte er mit Begeisterung aufgenommen, die »Disco? Nein danke«- Kampagne genau wie die Disco Demolition Night , bei der ein paar Schallplatten in die Luft gejagt worden waren. Das hatte die Luft gereinigt, und die Möchtegern-Tony-Maneros hatte sich zu ihren Kiss- und REO-Speedwagon-Konzerten verzogen und ihre alte Liaison verleugnet wie Petrus vor dem Hahnenschrei.
Als er kurz nach elf im Klub ankam, war es überraschend leer. Der DJ legte die salsalastigen Disco-Songs auf, die gerade ganz groß im Kommen waren, doch es gab riesige Freiflächen auf der Tanzfläche. Die meisten Leute standen am Rand und glotzten, ohne sich groß zu bewegen.
Max holte sich an der Bar ein Bier. Die Musik war zu laut, und der Song bescherte ihm ein komisches Gefühl im Magen, fast wurde ihm schlecht. Der basslastige Beat ließ seine Eingeweide vibrieren, die kreischenden Bläser taten ihm in den Ohren weh, und die näselnde Sängerin schrie mit schriller Stimme ihren zwei Worte fassenden Text hinaus: Vamos! Danza! – ein gellendes Gekreische, das sowohl schmerzerfüllt als auch schmerzhaft war. Plötzlich war das keine Musik mehr, sondern ein Härtetest in Geduld und Toleranz – und er scheiterte schon an der ersten Hürde.
Er zündete sich eine Zigarette an, wollte die Frauen begutachten, aber es war zu dunkel. »Folter durch Saldisco« wurde abgelöst von »Folter durch Saldiscos Sohn«. Am Rande der Tanzfläche drängten sich immer mehr Leute, die Atmosphäre im Laden war überraschend tot, Stirnrunzeln statt Lächeln, Starre statt Bewegung. Womöglich war es doch keine
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