Der Totenmeister: Thriller (German Edition)
das nicht in Ordnung war, dass das in seinem Alter nicht mehr sein sollte, aber wer war er, sie davon abzubringen, aufzubegehren oder sich auch nur zu beklagen? Er hatte es versucht, als er um die achtzehn gewesen war, aber sie hatte entgegnet, als seine Mutter habe sie das Recht, ihn zu baden, auch wenn sie beide schon alt waren. Die meiste Zeit seines Lebens hatte er alles hingenommen, was sie gesagt oder gemacht hatte, hatte immer getan, was sie von ihm verlangt hatte, ohne Fragen zu stellen. Nicht, weil er das so wollte, sondern weil es der einfachste Weg war. Die Alternative wagte er nicht einmal zu erwägen. Vor langer, langer Zeit hatte er sich an der Rebellion versucht, doch die Konsequenzen waren unverhältnismäßig hart gewesen.
Das Wasser war kochend heiß, wie immer, aber mittlerweile war er daran gewöhnt. Genau wie er an die harte Bürste gewöhnt war, mit der sie ihn abschrubbte. Vor vielen Jahren, als sie die Bürste gekauft hatte, waren die Borsten noch einigermaßen weich gewesen, aber zwei Jahrzehnte später hatten Kalk und Seife sie in winzige Stalagmiten verwandelt, die ihm haarfeine Streifen aus der Haut rissen, besonders an den knochigeren Stellen. Rücken und Brust waren mit einem feinen Gitter ineinander verwobener, weißer Narben übersät, sodass sein Oberkörper bei bestimmtem Lichteinfall aussah wie mit einem feinen Gespinst überzogen, als wäre er einer Spinne zum Opfer gefallen.
Sie rieb die Bürste mit Dettol-Seife ein und schrubbte ihm zuerst den Nacken und die Schultern, die Arme und den oberen Rücken. Dann stand er auf, und sie reichte ihm die Seife, damit er sich selbst den Schwanz, die Hoden und den Hintern wusch, das einzige Zugeständnis an die eigene Hygiene, das sie ihm in den letzten zehn Jahren gemacht hatte, seit er sich selbst das Gesicht waschen und die Zähne putzen durfte. Sie wechselten kein Wort miteinander. Im Bad war nur das hohle Kratzen der Bürste auf seiner Haut zu hören, fast wie eine Säge, die sich durch eine Holzbohle arbeitete, dazu das Klimpern ihrer beiden Medaillons, die im Rhythmus ihrer Bewegungen und dem Wogen ihrer schweren, hängenden Brüste unter ihrer Bluse zusammenstießen. Die Borsten rissen den Schorf von der empfindlichen, noch heilenden Haut und bohrten sich tief in alte Wunden. Er blickte starr geradeaus, in das Aquarium, um seinen Geist von den explodierenden Schmerzen abzulenken, die durch seine Nervenbahnen zuckten. Er konzentrierte sich auf einen Schwarm Oranda-Goldfische, vielleicht ein halbes Dutzend, die in der Mitte des Beckens schwebten. Anmutige Fische, die mit ihrer fedrigen Rückenflosse und dem bauschigen Schwanz, dem ampelroten Kopf und dem metallisch schillernden Körper aussahen wie schwimmende Hähne. Er sah zu, wie sie in einer Reihe hintereinander her schwammen, alle in genau gleichem Abstand, einfach und perfekt. Doch als er aufstand, bemerkte er am Ende der Reihe ein Flattern, weil der letzte Oranda mit seinem Vormann zusammengestoßen war. Dieser ließ sich ein paar Zentimeter nach unten sacken, damit der letzte seinen Platz in der Reihe einnehmen konnte. Einen Moment lang schwebte er im Wasser, ohne sich zu bewegen, vielleicht war er verwirrt, dann schwamm er wieder nach oben und reihte sich ein. Doch er hielt nicht mehr mit den anderen mit. Immer wieder fiel er zurück, konnte den anderen nur noch mit schnellen Sprints folgen und sich kurz wieder in die Formation einreihen, bevor er erneut zurückfiel. Carmine sah genauer hin und glaubte, einen Flecken an seiner Seite gesehen zu haben, ein kleines, graues Mal dicht unter der Rückenflosse. Aber sicher war er sich nicht.
Zum Schluss wusch sie ihm die Füße und die Beine, dann stieg er aus dem Wasser. Später würde er die Wanne ausgießen, säubern, desinfizieren und trocknen müssen, bevor er sie in den Keller trug, wo er wohnte.
Seine Mutter badete ihn nicht nur, sie rubbelte ihn auch energisch von Kopf bis Fuß mit einem weißen Handtuch trocken, bis auf die Körperteile, die er selbst gewaschen hatte. Die durfte er auch selbst abtrocknen, sobald sie mit ihm fertig war.
»Die Zeremonie findet heute statt«, sagte sie.
»Aber es ist Freitag.«
»Nach Mitternacht.«
»Ach, nach Mitternacht …« Carmine wusste, was das bedeutete: Es war eine Opferung und keine simple Hinrichtung. Was ebenfalls bedeutete, dass es ein Saturday Night Barons Club war und er in voller Montur würde erscheinen müssen. »Wer ist es?« Aber er kannte die Antwort
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