Der Totenmeister: Thriller (German Edition)
gackerten. Ihr kleiner Feigling von einem Sohn konnte mit Frauen umgehen. Er genoss ihre Gesellschaft. Er wusste, wie man ihnen die Befangenheit nahm, wie man sie zum Lachen brachte, wie man ihr Vertrauen gewann. In diesem Moment begriff sie, welche Rolle er in ihrem neuen Leben spielen würde.
Eva hob ab und schob die Tarotkarten über den Tisch zu Solomon.
Er mischte sie zweimal, mit Riffle und Strip. Sie beobachtete seine kurzen dicken Finger. Sie legten beim Mischen eine Geschicklichkeit an den Tag, die ihre Form Lügen strafte. Seine Nägel waren trüb, krumm und gelb und ragten über die Fingerspitzen hinaus, seine Hände wirkten im Vergleich zu den dünnen Armen grotesk groß und schwer.
Als er fertig war, hob er ein weiteres Mal ab und schob die Karten zu ihr zurück.
Sie legte sie zu einer Pyramide aus, insgesamt achtundzwanzig Karten, angefangen mit einer einzelnen ganz oben, darunter zwei, darunter drei, dann vier und so weiter, bis zur letzten Reihe mit sieben Karten. Die letzten Karten auf der rechten Seite der Pyramide verrieten die Zukunft, die davor standen für wichtige Ereignisse in der Vergangenheit und die zugrundeliegenden Strömungen, die diese beeinflusst hatten.
Ein Außenseiter hätte die Karten für fehlerhaft halten können, weil den Hofkarten das Gesicht fehlte und an dessen Stelle nur eine leere weiße Fläche zu sehen war. Dabei waren sie mit Absicht so und nur für die mächtigsten Wahrsager bestimmt. Wenn die Karten gelegt waren, stellte sich Eva auf die Hofkarten ein und blickte tief in die leere Fläche. Dabei entstanden vor ihrem inneren Auge langsam die Züge desjenigen, den sie repräsentierten, manchmal so klar wie eine Fotografie, manchmal nur in schwachen Linien.
»Was siehst du?«, fragte Solomon.
Nichts Gutes, ganz und gar nicht, aber sie hatte nicht vor, schon jetzt etwas zu sagen.
Ganz oben in der Pyramide lag der König der Schwerter, der Solomon repräsentierte: einen mächtigen, kriegerischen Mann, der innerhalb einer Organisation eine hohe Führungsposition innehatte. Die zweite und die sechste Karte waren der Ritter der Schwerter und der Ritter der Stäbe. Dazwischen lagen drei Sechsen: Stäbe, die für Pläne und Ideen standen; Kelche, die Geld, Geschäft und Sicherheit repräsentierten; und Schwerter, die auf Konflikte, Schwierigkeiten und Kampf hindeuteten. Doch die letzte Karte der Pyramide war die, die den größten Schaden brachte: der Turm, der große Zerstörer, der Vorbote des Untergangs.
Sie begriff es nicht. Beim letzten Mal hatte die Zukunft noch so strahlend ausgesehen. Was war passiert?
»Zwei Männer arbeiten gegen dich«, sagte sie und zeigte auf die Ritter.
»Wer?«
Sie blickte in die leere Stelle, die das Gesicht des Ritters der Schwerter war. Blutunterlaufene Augen schauten zu ihr hoch, und praktisch im gleichen Moment stieg ihr der Geruch von Schmauch in die Nase. Sie nahm die Karte auf, hielt sie sich vor die Nase und atmete tief ein. Ganz hinten in ihrem Mund bildete sich ein widerwärtiger Geschmack. Sie analysierte ihn: Alkohol, Erde, Blut, Chemikalien, Zigaretten.
»Dieser Mann hat kaltblütig getötet. Und nicht nur einmal.« Sie legte den Finger auf den Ritter der Schwerter. »Er ist kein Mörder. Er tötet aus anderen Gründen. Aus Überzeugung. Und aus einem Gefühl des Versagens. Aber er ist schwach: Er raucht, trinkt und nimmt Drogen.«
Von dem anderen Mann konnte sie nur die dunkelbraunen Augen sehen, doch sie spürte seinen massiven, einschüchternden Körperbau. Als sie seine Essenz zunächst roch und dann schmeckte, war da zuerst eine honigartige Süße, die auf ein ausgeglichenes, gutmütiges Temperament und eine grundlegende Ehrlichkeit schließen ließ – er gehörte zu den Männern, die ihren Freunden immer zur Seite standen und ihre Frau niemals betrogen. Doch als sie gerade zu dem Schluss kommen wollte, dass dieser Mann keine Gefahr für sie darstellte, schmeckte sie, tief in dem Nektar vergraben, einen Hauch von essigsaurer Bitterkeit. Als sie den isolierte und nach oben holte, wurde der Geschmack so unerträglich, dass sie ausspucken musste.
»Der andere Mann«, sie wischte sich mit dem Taschentuch über den Mund und zeigte mit dem Finger auf den Ritter der Stäbe, »ist ehrgeizig, aber er weiß es gut zu verbergen. Er ist der Initiator.«
»Wer sind die beiden?«, fragte Solomon ungeduldig.
Bevor sie antworten konnte, sah sie Carmine auf dem Boden liegen, er hielt sich den Bauch, als wäre er geschlagen
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