Der Totenmeister: Thriller (German Edition)
entsprach. Schäbige kleine Latinoläden. Schäbige kleine Latinokneipen. Schäbige kleine Latinorestaurants. Sogar der Himmel hier hatte irgendwie etwas schäbig Latinohaftes.
Er hätte von Anfang an die Finger von ihr lassen sollen. Die Schlampe hatte nicht mal in einem irgendwie schicken Laden gearbeitet. Bei Wendy’s! Einer beschissenen Burger-Kette!
Sie hatte ihn geschlagen. Zweimal. Genau wie seine Mutter.
Das war einfach nicht fair! Es war zu viel. Es musste aufhören.
Auf der Calle Ocho fuhr er rechts heraus und parkte. Auf der anderen Straßenseite stand ein Mann neben einem Pickup, auf dessen Ladefläche Kokosnüsse lagen. Er hackte sie auf und verkaufte sie als Getränk an Passanten. Carmine sah ihm bei der Arbeit zu. Einfache Arbeit. Einfaches Leben. Einfacher Kerl. In diesem Moment hätte er ohne eine Sekunde zu zögern mit dem Typen getauscht, wenn er nur gekonnt hätte. Sollte der sich mit Risquée herumschlagen.
Die Schlampe hatte ihm sein Geld abgenommen. Die Schlampe wollte mehr Geld. Die Schlampe wollte ihn bei seiner Mutter verpfeifen. Und sie wollte ihn bei seinen anderen Karten verpfeifen. Er würde sie alle verlieren. Dabei war er so verdammt kurz davor, hier rauszukommen. So verdammt kurz davor.
Eine einsame Träne lief ihm über die Wange, die immer noch brannte. Er flennte und hasste sich dafür. Er hasste sich, weil er so ein elender Schlappschwanz war. Die Schlampe hatte recht. Er war kein richtiger Zuhälter. Ein richtiger Zuhälter hätte ihr beide Arme gebrochen und sich dann ihr Gesicht vorgenommen. Er war kein richtiger Zuhälter.
Vielleicht war es an der Zeit, sich wie einer zu verhalten. Vielleicht war es an der Zeit, sich ein paar richtige Eier zuzulegen.
Er rieb sich das Gesicht. Er würde zu Sam gehen.
Er ließ den Wagen an und fuhr los.
Risquée würde sein Geld nicht kriegen. Auf keinen Fall.
Auf gar keinen Fall.
22
Jeden Morgen wischte Sam Ismael – ein großer, sehr schlanker und komplett kahlköpfiger Mann mit langer Knollennase und gelblich braunen Augen – den Gehweg vor seinem Laden mit einem Aufguss von Jasmin, Minze und Rosenwasser. Dies war ein Brauch syrischer Händler, er hatte ihn von seinen Eltern übernommen, die in Port-au-Prince einen Supermarkt betrieben. Der Geruch sollte Wohlstand und Frieden bringen.
Sam war ohne Zweifel wohlhabend und, nicht zuletzt deswegen, weitgehend mit sich selbst im Reinen. Sein Geschäft, Haiti Mystique auf der North East 54th Street in Lemon City, lief sehr gut. Er verkaufte alle erdenklichen Voodoo-Paraphernalien, von Trommeln und Stäben, mit denen man Geister herbeirufen konnte, über Kerzen, Puppen und Gipsheilige bis zu allen Arten von Kräutern, Wurzeln, Blättern und Samen. Auch Opfertiere waren bei ihm zu erstehen: Hähne, Hühner, Tauben, Ziegen und Schlangen. Darüber hinaus betrieb er unter dem Ladentisch einen hochlukrativen Handel mit Zubehör für die schwarze Magie, der größtenteils aus Kirchen und von Friedhöfen gestohlen wurde, wobei sich insbesondere Schädel und Knochen von Nonnen, Priestern und Mördern als ausgesprochen begehrt erwiesen hatten. Alle kamen sie zu ihm, haitianische Houngans und Mambos , kubanische und brasilianische Macumba-Priester, afrikanische Medizinmänner, einheimische Hexen und Wahrsager, Satanisten und Leute mit perversen sexuellen Vorlieben, Musiker und Touristen.
In der tristen, heruntergekommenen Straße war der Laden schon von Weitem zu erkennen. Eine Wohltat in der ansonsten deprimierenden Reihe grauer vernagelter Gebäude, verlassener Geschäfte und niedriger Wohnblocks, in denen Obdachlose, Junkies und immer mehr haitianische Einwanderer hausten.
Sam glaubte nicht mehr an Vodou als an jede andere Religion, aber er hatte begriffen, welchen Einfluss es auf die Menschen hatte, und er hatte Respekt und Ehrfurcht vor dem, was der Glaube bewirken konnte.
Von den meisten seiner Kunden hielt er nicht sehr viel, das waren Scharlatane, Quacksalber, Betrüger oder schlichtweg verwirrte Exzentriker, die ihr Geld damit verdienten, dass sie mit einem merkwürdigen Gesicht, starren Augen und vollkommener Entrücktheit auf die Welt gekommen waren – nur bei Eva Desamours war er sich nicht so sicher. Die war ihm unheimlich, so sehr, dass er manchmal doch an das Übernatürliche glaubte. Bei einem ihrer seltenen Besuche in seinem Laden hatte sie ein deutsches Paar beobachtet, das sich Münzketten anschaute, und zu der Frau, einer Brünetten von Anfang dreißig, gesagt:
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