Der Totenschmuck
dein Typ ist. Und weil du gerade so rot wie deine Haare geworden bist.«
»Woher willst du wissen, wer mein Typ ist?«
»Ich kenne dich, seit deine Eltern dich aus dem Krankenhaus mit nach Hause gebracht haben. Ich kenne dich besser, als du glaubst. Und ich habe Colm kennen gelernt, erinnerst du dich noch?«
Sie hatte es vergessen. Anna war in London gewesen, weil die Tochter einer Freundin geheiratet hatte und war einen
Tag nach Oxford gekommen. Sie waren zusammen Mittagessen gewesen, und Colm hatte Anna von seiner Dissertation über Yeats’ Rolle während des Osteraufstands 1916 erzählt. Sweeney hatte plötzlich einen Kloß im Hals und trank schnell einen Schluck Tee, um ihn wegzuspülen.
»Ich weiß nicht. Jack ist interessant. Talentiert. Sieht gut aus. Aber die ganze Geschichte ist so kompliziert geworden. Ich glaube, da ist nichts mehr möglich.«
Anna musterte sie, als wog sie ab, ob Sweeney stark genug für ihre nächste Frage war. »Hat es sonst jemanden gegeben? Ich meine, seit Colm?«
Sweeney lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und ließ ihren Blick über die Blumenbeete schweifen, die den Garten einrahmten und die in dem flackernden Schein der Windlichter bizarr wirkten. Es gab spät blühende Tulpen und das Grün der Taglilien, die später im Sommer blühen würden. Die Pfingstrosen - Sweeneys Lieblingsblumen wegen ihrer flüchtigen Verwegenheit und ihres einmaligen Duftes - begannen gerade zu knospen. Sie konnte die festen runden Knospen sehen, aus denen sich die hübschen ausgefransten Blütenblätter in blassem Rosa entfalten würden. »Ich habe Weihnachten einen Mann kennen gelernt. Ich war mit Toby in Vermont.« Sweeney erzählte ihr von Tobys Familie und den Mordfällen. »Er heißt Ian und wohnt in London. Ich dachte, dass … ich weiß auch nicht. Da war zwar etwas, und das hätte auch weitergehen können, aber als es ernst wurde und ich ihn in London besuchen sollte, konnte ich einfach nicht fahren. Ich habe ihm gesagt, dass ich ihn im Frühling besuche.«
»Wir haben jetzt Frühling«, sagte Anna leise.
»Das sagt er auch.« Sie nahm noch einen großen Schluck Tee und sah Anna an. »Wie könnte ich nur?«, fragte sie. »Das ist völlig unmöglich.«
»Du fährst einfach«, entgegnete Anna. »Du fährst einfach.«
»Und du? Gab es jemanden seit Julian?« Sweeney versuchte, ihrer Frage mit einem provozierenden Blick mehr Nachdruck zu verleihen. Anna stellte den anderen gern persönliche Fragen, beantwortete sie jedoch selbst nur ungern.
Aber sie überraschte Sweeney mit einem Grinsen. »Es gab vor ein paar Jahren einen Mann. Ich habe in einem Atelier Assistenz gemacht, und er auch. Gordon. Er kam aus San Francisco.«
»Und was ist passiert?«
»Wir haben eine Weile den Kontakt gehalten. Ich bin sogar für ein Wochenende rausgefahren.« Vor Sweeneys innerem Auge tauchte ihre Tante auf, vieldeutig lächelnd, in einem Flugzeug in der Luft über Kalifornien. »Aber wir waren zwei alte Leute, jeder mit seinen Ecken und Kanten. Keiner von uns wollte umziehen. Wir sind in einer Art Sackgasse gelandet. Manchmal kommt es mir so vor, als hätte ich zu viel zu tun, zu viel zu beenden. Wie ich sie alle beenden soll, ich weiß es nicht. Ich habe so viele Jahre damit verbracht, Julians Kunst salonfähig zu machen, und jetzt will ich einfach nur selbst malen und nie mehr damit aufhören.«
Sweeney dachte, dass das auch mit Ian passieren würde. Sie hatte sich vorgestellt, wie sie nach einem Wochenendbesuch auf dem Flughafen stand und einsam den leeren Korridor hinunterging.
»Erzähl mir von dem Engländer. Was macht er denn so?«
»Er handelt mit Kunst und Antiquitäten. Er ist geschieden, hat eine Tochter. Dieser Teil von ihm macht mir Angst und Bange. Er ist … ich weiß nicht. Er macht mich nervös. Ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist. In seiner Gegenwart fühle ich mich komplett verunsichert.«
»Du meinst nicht, das hat etwas damit zu tun, was passiert ist, als du in Vermont warst?«
»Vielleicht. Das ist es ja gerade. Wir … was immer da von ›wir‹ gewesen ist, es wurde so verdorben durch das, was dort passiert ist, dass ich nicht weiß, wie wir noch mal von vorn
anfangen sollen. Und jetzt trifft vielleicht dasselbe bei Jack Putnam zu.«
»Ja, aber es kann auch anders herum laufen. Ich weiß noch, dass bei Peteys Tod alle gesagt haben, dass Melissa und Drew durch ihn enger zusammengekommen sind und ihre Beziehung gefestigter geworden ist. Vorher sind sie immer etwas
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