Der Totenschmuck
an einem dieser seltsamen Zufälle am College.
»Wie geht es Ihnen denn?«, fragte sie.
Niemand antwortete. Rajiv sah müde aus, seine sonst so gepflegte Aufmachung war durch Jeans und ein Dartmouth-Sweatshirt ersetzt worden.
Ashley blickte auf, als wollte sie etwas sagen, aber besann sich eines Besseren. Ihre Augen waren gerötet, und der Tränenstrom hatte ihr schweres Make-up und ihren Kajalstift beseitigt, so dass sogar ihre bernsteinfarbenen Pupillen zu sehen waren. Durch ihren Kummer wirkte sie jünger und hübscher.
Jennifer behielt ihre Gefühle für sich. Sie sah Sweeney unverwandt an, dann senkte sie den Blick.
»Bis eben hatte ich noch vor, so zu unterrichten wie immer«, erklärte Sweeney. »Aber mir ist nicht mehr danach und Ihnen vermutlich auch nicht. Gibt es etwas, worüber Sie sprechen möchten?«
Alle schwiegen. Sie blickte in die Runde und glaubte zu spüren, dass sie Angst vor ihr hatten. Auch Raj, der sonst immer ein Lächeln in ihre Richtung schickte, verharrte in einer halbgebeugten Haltung, den Kopf über den Schreibblock gesenkt, in den er kleine, muschelförmige Muster krakelte.
»Es ist nur etwas komisch, mit Brad und allem«, sagte Jennifer Jones leise.
»Ist schon mal jemand gestorben, den Sie gut kannten?«, wollte Sweeney wissen und fühlte sich wie ein Seelenklempner.
Es folgte langes Schweigen, bis Jennifer erzählte: »Meine
Großmutter. Und dieses Mädchen, mit dem ich in die Grundschule gegangen bin und die sich dann im Umkleideraum die Pulsadern aufgeschnitten hat.«
Sweeney verzog den Mund.
»Mein Großvater starb, als ich sechs war, aber ich habe ihn kaum gekannt«, fügte Ashley hinzu. »Und meine Zwillingsschwester ist gestorben. Im Bauch. Ich war mit ihr zwei Monate lang da drinnen. Die meisten meinen, ich hätte sie nicht wirklich gekannt, aber ich erinnere mich an sie. Ich weiß noch, dass ich versuchen wollte, sie aufzuwecken, aber sie wollte nicht und hat mich nur aus ihren kalten, toten, kleinen Augen angestarrt.«
Sweeney fehlten die Worte und Jennifer und Raj waren entsetzt. Es entstand eine unangenehme Pause, bis Ashley sagte: »Na ja, das ist wirklich wahr.«
Sweeney räusperte sich. »Nun, wenn Sie jemanden zum Reden brauchen, wenn Sie sich unsicher fühlen oder niedergeschlagen sind - Sie haben meine Telefonnummer und können mich jederzeit anrufen. Und vergessen Sie nicht die Heerscharen von psychologischen Betreuern, die auch gern für Sie da sind. In Ordnung?«
Die Studenten nickten bedrückt und Sweeney ließ sie gehen.
Neun
Drew Putnam hatte sich den gesamten Morgen schon vor der Begegnung mit Pam gefürchtet, und als er aus dem Lift trat und an ihrem Schreibtisch vorüberging, an dem sie wie immer munter und wie ein exotischer Schmetterling umgeben von einem ganzen Dschungel von Blumengestecken saß, überkam ihn Panik, das Bedürfnis, auf das gerahmte Foto von ihrem Mann und ihrem Sohn und auf die glatte Schreibtischplatte einzuschlagen.
»Guten Morgen, Pam«, murmelte er, blickte zu Boden und steuerte auf sein Büro zu. Es war merkwürdig, dass alles genau so aussehen sollte wie vor drei Tagen, aber das Büro hatte tatsächlich die gleiche kühle Eleganz wie immer, dank der teuren Dekorateurin, die vierhundert Dollar pro Stunde bekommen und den Raum im vergangenen Jahr neu gestaltet hatte. Er musste zugeben, dass sie etwas von ihrem Handwerk verstand. Die Büroräume von Putnam und Wisecraft - im vierten Stock eines Bürogebäudes der Finanzbehörde - stellten der Privatbibliothek eines englischen Lords in nichts nach und waren komplett mit üppig aufgepolsterten Mahagonimöbeln bestückt. Das Stockwerk war mit einem eleganten grauen Teppich ausgelegt worden, die beste Ware nach Hartholzböden, und an den Wänden hing zeitgenössische Kunst, viele Stücke stammten aus der Privatsammlung der Familie. Einige Gemälde schmückten schon seit über hundert Jahren die Wände der Kanzlei, und obwohl die Besprechungszimmer
sonst vollkommen modern waren - deswegen hatten sie diese Etage auch gewählt -, kam es ihm so vor, als würde er eine Reise zurück in die Geschichte antreten. Genau so sollten sich auch die Mandanten fühlen, wenn sie die Kanzlei betraten. Sie sollten sich bewusst sein, dass Putnam und Wisecraft immer in der Lage waren, ihnen zu helfen. Das hatte er der Innendekorateurin gesagt, und er musste zugeben, dass ihre Gestaltung genau ins Schwarze getroffen hatte.
»Mr Putnam.« Pam starrte ihn mit offenem Mund an. »Wir haben nicht
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