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Der Totenschmuck

Titel: Der Totenschmuck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stewart Taylor
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mit Klauenfüßen, die in dem sonst eher unspektakulären Badezimmer stand. Ihr kamen immer die besten Ideen, wenn sie in einer Wanne voll Wasser lag, das ein ganz kleines bisschen zu heiß war. Sie rannte nackt in die Küche - aus Versehen, ohne vorher die Gardinen im Wohnzimmer vorzuziehen -, um sich einen Scotch einzuschenken, und als sie wieder ins Badezimmer zurücksprinten wollte, fiel ihr Blick auf den blassblauen Brief, der vor den mittlerweile erschöpft aussehenden Osterglocken stand. Spontan griff sie nach ihm.
    Die Wanne war fast gefüllt und sie ließ sich dankbar in das siedend heiße Nass gleiten, nippte an ihrem Scotch und seufzte.
    Gute zehn Minuten lang ruhte sie sich aus und ließ ihre Wut in das Wasser entweichen, bevor sie ihren Arm nach dem Brief ausstreckte, der auf dem Fensterbrett auf sie wartete. Sie besah ihn sich von allen Seiten. Es war lange her, seit sie zum letzten Mal einen Brief erhalten hatte - oft hatte sie sich die Wissenschaftler der Zukunft vorgestellt, die die Reste der Briefkorrespondenzen des späten zwanzigsten und frühen einundzwanzigsten Jahrhunderts einsahen. Was würden sie finden? Dateien auf Computerfestplatten?
    Sie öffnete den Umschlag mit einer Nagelfeile und zog den hochwertigen, blauen Briefbogen heraus. Ihre Augen folgten der ordentlichen Handschrift und blieben bei der Signatur
hängen. »Dein Ian«, die Buchstaben waren etwas mutiger geschwungen als zu Beginn des Briefes, der die Empfängerin mit »Liebe Sweeney« ansprach. Die Handschrift erinnerte sie an ihn, ordentlich, schön, aber etwas tollkühner, als er auf den ersten Blick war. Ian! Sie hatte ihn erfolgreich aus ihrem Gedächtnis verbannt, seit diesem merkwürdigen und furchtbaren Weihnachten in Vermont. Abgesehen von ein paar schuldbewussten Rückblenden - halb geträumte Erinnerungen, wie ihr Körper sich eng an seinen gepresst angefühlt hatte -, hatte sie versucht, alles zu vergessen: Vermont, die Morde und die Art, wie sie Tobys Familiengeheimnisse verraten hatten, wie sie in die Arme dieses rätselhaften Engländers getrieben worden war, der geschieden war und zudem noch eine kleine Tochter hatte. Jemand, der vollkommen ungeeignet für sie war. Zu weit entfernt von ihr, zu stark belastet.
    Sie las weiter. »Wochenlang habe ich widerstanden, dir zu schreiben, aber heute Morgen bin ich aufgewacht und wollte nicht länger dagegen ankämpfen. Es war eine unglaubliche Erleichterung, wie du dir vorstellen kannst, diese große Last abzuwerfen, mich hinzusetzen und dir, endlich, einen Brief zu schreiben. Es ist nur ein Brief, sagte ich mir. Ich will einfach nur ein bisschen reden und ihr erzählen, was meine Arbeit macht, wie es Eloise geht und mir selbst.
    Die Arbeit läuft gut. Wir haben drei neue Leute im Auktionshaus eingestellt. Allerdings habe ich den einen im Verdacht, dass er irgendwie in einen internationalen Drogenring involviert ist - aber er hat ein gutes Auge. Na ja, so lange er das Zeug nicht hierher bringt …« Sweeney konnte sein trockenes Grinsen und die ironisch hochgezogenen Brauen regelrecht vor sich sehen.
    »Eloise geht es gut. Sie hat angefangen zu schreiben, wie es scheint, denn sie schickt mir lange Briefe auf Französisch aus der Schule, die sich eher wie lebensnahe Versionen ihrer Lieblingsmärchen anhören, Aschenputtel ungeschminkt. Was mich betrifft, war ich damit beschäftigt, den Inhalt eines Landhauses
in Devon zu katalogisieren. Ich habe mich in die Pension im Ort eingemietet und jeden Morgen einen flotten, langen Spaziergang unternommen, bis zu dem Haus, in dem ich den größten Teil des Tages mit verschiedenen Familienmitgliedern verbracht habe, die sich allesamt gegenseitig misstrauten und mich keine Minute mehr aus den Augen gelassen haben. Es gab ein kleines Rätsel um eine chinesische Vase, während ich dort war. Ich kann dieser Geschichte hier nicht wirklich gerecht werden und habe daran gedacht, wie gern du Detektiv gespielt hättest, um der Wahrheit auf den Grund zu gehen. Aber das führt uns zurück zu dir, nicht wahr, und zu mir, der sich wünscht, dass du hier sein könntest. Da siehst du es: Ich habe versucht einen Brief zu schreiben, der kein einziges Mal erwähnt, dass ich dich gerne hier hätte - aber ich bin gescheitert. Ich bin Anfang Januar nach London zurückgekehrt und dachte mir, ich warte darauf, dass du dich bei mir meldest. Du hast so viel durchgemacht, und ich wollte für dich nicht alles noch komplizierter machen. Aber dann fiel mir wieder

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